Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.
Eben so verhält es sich mit der Tonkunst, die im Allgemeinen nur auf Eine Art bestimmt, aber im einzelnen auf unzählige Weise metamorphosirt wird. Sie bleibt immer eine und eben dieselbe Musik, die aus sieben ganzen und fünf halben Tönen besteht, wenn sie gleich noch in so verschiedne Oktaven zerfällt. Auf die nehmliche Weise bilde ich mir den natürlichen Bau der Sprachen ein. Gewisse Empfindungen des Körpers, gewisse Bewegungen der körperlichen Gliedmaßen verursachen einen Schall des Mundes, oder begleiten dessen Ausbruch. Die letztre Wiederholung giebt ihm die beständige Bedeutung. Bei dem Gebrauche merkt man immer mehr Veränderungen, man setzt aus einfachen Schallen doppelte, aus einzelnen mehrere zusammen. Dem Munde wird das Sprechen geläufiger. Mehrere Vorfallenheiten erregen mehrere Empfindungen. Mehrere Dinge fodern mehr Bezeichnun-
Eben so verhaͤlt es sich mit der Tonkunst, die im Allgemeinen nur auf Eine Art bestimmt, aber im einzelnen auf unzaͤhlige Weise metamorphosirt wird. Sie bleibt immer eine und eben dieselbe Musik, die aus sieben ganzen und fuͤnf halben Toͤnen besteht, wenn sie gleich noch in so verschiedne Oktaven zerfaͤllt. Auf die nehmliche Weise bilde ich mir den natuͤrlichen Bau der Sprachen ein. Gewisse Empfindungen des Koͤrpers, gewisse Bewegungen der koͤrperlichen Gliedmaßen verursachen einen Schall des Mundes, oder begleiten dessen Ausbruch. Die letztre Wiederholung giebt ihm die bestaͤndige Bedeutung. Bei dem Gebrauche merkt man immer mehr Veraͤnderungen, man setzt aus einfachen Schallen doppelte, aus einzelnen mehrere zusammen. Dem Munde wird das Sprechen gelaͤufiger. Mehrere Vorfallenheiten erregen mehrere Empfindungen. Mehrere Dinge fodern mehr Bezeichnun- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0055" n="55"/><lb/> schieht doch das Messen und Zaͤhlen auf eine Art; an welchem Orte der Erde, in welchem Planeten oder Weltraume man auch zaͤhlt oder misset (aus dem Zusammenhange kann geschlossen werden, welches Zeichen eine Einheit, und was fuͤr Eine es sey. Sobald man das Verhaͤltniß der gebrauchten Zahlzeichen weiß, und sobald man eine Figur erblickt, deren Linien mit gewissen Namen belegt worden sind, kann man wissen: welcher Name einer bestimmten Linie gegeben worden ist). </p> <p>Eben so verhaͤlt es sich mit der Tonkunst, die im Allgemeinen nur auf Eine Art bestimmt, aber im einzelnen auf unzaͤhlige Weise metamorphosirt wird. Sie bleibt immer eine und eben dieselbe Musik, die aus sieben ganzen und fuͤnf halben Toͤnen besteht, wenn sie gleich noch in so verschiedne Oktaven zerfaͤllt. </p> <p>Auf die nehmliche Weise bilde ich mir den natuͤrlichen Bau der Sprachen ein. Gewisse Empfindungen des Koͤrpers, gewisse Bewegungen der koͤrperlichen Gliedmaßen verursachen einen Schall des Mundes, oder begleiten dessen Ausbruch. Die letztre Wiederholung giebt ihm die bestaͤndige Bedeutung. Bei dem Gebrauche merkt man immer mehr Veraͤnderungen, man setzt aus einfachen Schallen doppelte, aus einzelnen mehrere zusammen. Dem Munde wird das Sprechen gelaͤufiger. Mehrere Vorfallenheiten erregen mehrere Empfindungen. Mehrere Dinge fodern mehr Bezeichnun-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [55/0055]
schieht doch das Messen und Zaͤhlen auf eine Art; an welchem Orte der Erde, in welchem Planeten oder Weltraume man auch zaͤhlt oder misset (aus dem Zusammenhange kann geschlossen werden, welches Zeichen eine Einheit, und was fuͤr Eine es sey. Sobald man das Verhaͤltniß der gebrauchten Zahlzeichen weiß, und sobald man eine Figur erblickt, deren Linien mit gewissen Namen belegt worden sind, kann man wissen: welcher Name einer bestimmten Linie gegeben worden ist).
Eben so verhaͤlt es sich mit der Tonkunst, die im Allgemeinen nur auf Eine Art bestimmt, aber im einzelnen auf unzaͤhlige Weise metamorphosirt wird. Sie bleibt immer eine und eben dieselbe Musik, die aus sieben ganzen und fuͤnf halben Toͤnen besteht, wenn sie gleich noch in so verschiedne Oktaven zerfaͤllt.
Auf die nehmliche Weise bilde ich mir den natuͤrlichen Bau der Sprachen ein. Gewisse Empfindungen des Koͤrpers, gewisse Bewegungen der koͤrperlichen Gliedmaßen verursachen einen Schall des Mundes, oder begleiten dessen Ausbruch. Die letztre Wiederholung giebt ihm die bestaͤndige Bedeutung. Bei dem Gebrauche merkt man immer mehr Veraͤnderungen, man setzt aus einfachen Schallen doppelte, aus einzelnen mehrere zusammen. Dem Munde wird das Sprechen gelaͤufiger. Mehrere Vorfallenheiten erregen mehrere Empfindungen. Mehrere Dinge fodern mehr Bezeichnun-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/55>, abgerufen am 16.02.2025. |