Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.
Eine jede Seelenkraft die sich in ihrem Maaß ausbildet, ist, ganz ohne Vergleichung, für sich selbst das Höchste. -- Niemand darf scheinen, um mit in Reihe und Glied zu stehen, sondern ein jeder hat den innern Gehalt und Werth dazu in sich selber. Es ist der düstre umnebelte Blick, welcher den reichen Fond von Anlässen zu allem Großen und Schönen, der in der Menschheit schlummert nicht wahrnimmt, weil er nur auf sein Jndividuum sich beschränkt, und über dessen Grenzen nicht hinausgeht. -- Wer nun über das Wesentliche hinwegsieht, muß zu dem Unwesentlichen bei dem inwohnenden Triebe sich auszubreiten, nothwendig seine Zuflucht nehmen. -- Die eigentliche Wurzel bleibt vernachlässigt und verdorret, indeß ein fremdartiges Gewebe sich umher spinnt. Daß man nach dem alten Sprichwort so viele Bilder und Erscheinungen von Menschen, und wirkliche Menschen so wenig sieht, hat blos in dieser Sucht das Fremdartige in sich überzutragen,
Eine jede Seelenkraft die sich in ihrem Maaß ausbildet, ist, ganz ohne Vergleichung, fuͤr sich selbst das Hoͤchste. — Niemand darf scheinen, um mit in Reihe und Glied zu stehen, sondern ein jeder hat den innern Gehalt und Werth dazu in sich selber. Es ist der duͤstre umnebelte Blick, welcher den reichen Fond von Anlaͤssen zu allem Großen und Schoͤnen, der in der Menschheit schlummert nicht wahrnimmt, weil er nur auf sein Jndividuum sich beschraͤnkt, und uͤber dessen Grenzen nicht hinausgeht. — Wer nun uͤber das Wesentliche hinwegsieht, muß zu dem Unwesentlichen bei dem inwohnenden Triebe sich auszubreiten, nothwendig seine Zuflucht nehmen. — Die eigentliche Wurzel bleibt vernachlaͤssigt und verdorret, indeß ein fremdartiges Gewebe sich umher spinnt. Daß man nach dem alten Sprichwort so viele Bilder und Erscheinungen von Menschen, und wirkliche Menschen so wenig sieht, hat blos in dieser Sucht das Fremdartige in sich uͤberzutragen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0036" n="36"/><lb/> Wer sich aber in der Republik der Geister und mit dieser zusammen denkt, der wird auch jedes hoͤhere Talent als ein gemeinschaftliches Gut betrachten, das allen verhaͤltnißmaͤßig zugehoͤrt, und welches selbst dem der es besitzt, oft kein so reines und unvermischtes Vergnuͤgen gewaͤhrt, als dem welcher sich mit stillem Genuß daran ergoͤtzt. </p> <p>Eine jede <hi rendition="#b">Seelenkraft</hi> die sich in ihrem Maaß ausbildet, ist, ganz ohne Vergleichung, fuͤr sich selbst das <hi rendition="#b">Hoͤchste.</hi> — Niemand darf <hi rendition="#b">scheinen,</hi> um mit in Reihe und Glied zu stehen, sondern ein jeder hat den innern Gehalt und Werth dazu in sich selber.</p> <p>Es ist der duͤstre umnebelte Blick, welcher den reichen Fond von Anlaͤssen zu allem Großen und Schoͤnen, der in der Menschheit schlummert nicht wahrnimmt, weil er nur auf sein Jndividuum sich beschraͤnkt, und uͤber dessen Grenzen nicht hinausgeht. — </p> <p>Wer nun uͤber das Wesentliche hinwegsieht, muß zu dem Unwesentlichen bei dem inwohnenden Triebe sich auszubreiten, nothwendig seine Zuflucht nehmen. — Die eigentliche Wurzel bleibt vernachlaͤssigt und verdorret, indeß ein fremdartiges Gewebe sich umher spinnt. </p> <p>Daß man nach dem alten Sprichwort so viele Bilder und Erscheinungen von Menschen, und wirkliche Menschen so wenig sieht, hat blos in dieser Sucht das <hi rendition="#b">Fremdartige in sich uͤberzutragen,</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [36/0036]
Wer sich aber in der Republik der Geister und mit dieser zusammen denkt, der wird auch jedes hoͤhere Talent als ein gemeinschaftliches Gut betrachten, das allen verhaͤltnißmaͤßig zugehoͤrt, und welches selbst dem der es besitzt, oft kein so reines und unvermischtes Vergnuͤgen gewaͤhrt, als dem welcher sich mit stillem Genuß daran ergoͤtzt.
Eine jede Seelenkraft die sich in ihrem Maaß ausbildet, ist, ganz ohne Vergleichung, fuͤr sich selbst das Hoͤchste. — Niemand darf scheinen, um mit in Reihe und Glied zu stehen, sondern ein jeder hat den innern Gehalt und Werth dazu in sich selber.
Es ist der duͤstre umnebelte Blick, welcher den reichen Fond von Anlaͤssen zu allem Großen und Schoͤnen, der in der Menschheit schlummert nicht wahrnimmt, weil er nur auf sein Jndividuum sich beschraͤnkt, und uͤber dessen Grenzen nicht hinausgeht. —
Wer nun uͤber das Wesentliche hinwegsieht, muß zu dem Unwesentlichen bei dem inwohnenden Triebe sich auszubreiten, nothwendig seine Zuflucht nehmen. — Die eigentliche Wurzel bleibt vernachlaͤssigt und verdorret, indeß ein fremdartiges Gewebe sich umher spinnt.
Daß man nach dem alten Sprichwort so viele Bilder und Erscheinungen von Menschen, und wirkliche Menschen so wenig sieht, hat blos in dieser Sucht das Fremdartige in sich uͤberzutragen,
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