Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.
*) Es ist nicht mehr Mode diesen großen Mann zu citiren, und zwar einer Schwachheit halber, die er doch selbst bereut hat. Wohl aber citirt man Heinrich IV. der jenem unter allen Menschen vielleicht am meisten, sowohl in den guten als bösen Eigenschaften gleich war, jedoch mit dem Unterschiede, daß Heinrich die nehmlichen Schwachheiten hatte, sie aber nicht bereute, daß er bei weitem so aufgeklärt nicht war als jener, daß er kein so grosses Genie, kein so vortreflicher Dichter war, und überdem nur einen Augenblick regierte. Aber man verschluckt begierig, das was Baile gegen den erstern gesammelt hat, statt daß Niemand das liest, was ein unpartheiischer Zuschauer über den letztern gesammelt hat, (ich meine Sir George Carew, Gesandten der Königin Elisabeth an Heinrichs Hof,) der gewiß mehr im Stande war Heinrich den IV. richtig zu beurtheilen, als Baile den David.
*) Es ist nicht mehr Mode diesen großen Mann zu citiren, und zwar einer Schwachheit halber, die er doch selbst bereut hat. Wohl aber citirt man Heinrich IV. der jenem unter allen Menschen vielleicht am meisten, sowohl in den guten als boͤsen Eigenschaften gleich war, jedoch mit dem Unterschiede, daß Heinrich die nehmlichen Schwachheiten hatte, sie aber nicht bereute, daß er bei weitem so aufgeklaͤrt nicht war als jener, daß er kein so grosses Genie, kein so vortreflicher Dichter war, und uͤberdem nur einen Augenblick regierte. Aber man verschluckt begierig, das was Baile gegen den erstern gesammelt hat, statt daß Niemand das liest, was ein unpartheiischer Zuschauer uͤber den letztern gesammelt hat, (ich meine Sir George Carew, Gesandten der Koͤnigin Elisabeth an Heinrichs Hof,) der gewiß mehr im Stande war Heinrich den IV. richtig zu beurtheilen, als Baile den David.
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einen Weisen, daß er, wenn er ein solches Beispiel des menschlichen Elends siehet sagen kann: dieser Elende welcher mein Bruder war, gieng fuͤr seine Mitbruͤder verlohren, indem sie ihn ausstießen; Jetzt aber stehet er vor einem vollkommnen gerechten Richter, dessen Ausspruͤche nicht sind wie die unsern! Vielleicht war es bei einem aͤhnlichen Falle, als ein großer Mann aus dem Alterthum*) ausrief: Jch sterbe vor Verlangen, Lust und Begierde, nach deinem Urtheil, o Gott! fuͤnf tausend Jahre hindurch fuͤhlt man nun schon die
*) Es ist nicht mehr Mode diesen großen Mann zu citiren, und zwar einer Schwachheit halber, die er doch selbst bereut hat. Wohl aber citirt man Heinrich IV. der jenem unter allen Menschen vielleicht am meisten, sowohl in den guten als boͤsen Eigenschaften gleich war, jedoch mit dem Unterschiede, daß Heinrich die nehmlichen Schwachheiten hatte, sie aber nicht bereute, daß er bei weitem so aufgeklaͤrt nicht war als jener, daß er kein so grosses Genie, kein so vortreflicher Dichter war, und uͤberdem nur einen Augenblick regierte. Aber man verschluckt begierig, das was Baile gegen den erstern gesammelt hat, statt daß Niemand das liest, was ein unpartheiischer Zuschauer uͤber den letztern gesammelt hat, (ich meine Sir George Carew, Gesandten der Koͤnigin Elisabeth an Heinrichs Hof,) der gewiß mehr im Stande war Heinrich den IV. richtig zu beurtheilen, als Baile den David.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0803_1791/72>, abgerufen am 17.02.2025. |