Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 3. Berlin, 1791.
Zwar kenne ich die Empfindung, welche man Furcht vor dem Tode nennet, aus Erfahrung; aber ich habe diese Erfahrung immer nur im Zustande der vollkommenen Gesundheit gemacht. Jch mache sie noch jetzt, so oft ich an Schlagfluß, Wassersucht, u.s.w. denke; und ich kann nach dem Beispiel des großen Turenne in Wahrheit sagen: daß ich zwar nicht den Tod, aber wohl den Schmerz als ein wahres Uebel fürchte, da ich Schmerzen ausgestanden habe, die auf der Folterbank nicht quälender seyn können. Jch gestehe, daß ich mit einer schrecklichen Furcht an den Krebs, an Raserei, denke. Ja, ich könnte diese Furcht bis zur Ohnmacht treiben, wenn ich ihr nicht mit Gewalt Einhalt thäte. Die Bemerkungen des Hr. Glave, sind zwar ein wenig gesucht, aber vorzüglich die S. 40. über die Verschiedenheit zwischen dem armen Clooß und Werther, sind mir aus der Seele geschrieben, (ich bediene mich gerne dieser deutschen Redensart, weil sie vortreflich ist, und in jeder andern Sprache fehlt.) Seine letzte Phrasis S. 45. ist eine der schönsten, erhabensten Stellen die ich kenne. Wie werden einst alle Weise dieser Erde sich im Staube
Zwar kenne ich die Empfindung, welche man Furcht vor dem Tode nennet, aus Erfahrung; aber ich habe diese Erfahrung immer nur im Zustande der vollkommenen Gesundheit gemacht. Jch mache sie noch jetzt, so oft ich an Schlagfluß, Wassersucht, u.s.w. denke; und ich kann nach dem Beispiel des großen Turenne in Wahrheit sagen: daß ich zwar nicht den Tod, aber wohl den Schmerz als ein wahres Uebel fuͤrchte, da ich Schmerzen ausgestanden habe, die auf der Folterbank nicht quaͤlender seyn koͤnnen. Jch gestehe, daß ich mit einer schrecklichen Furcht an den Krebs, an Raserei, denke. Ja, ich koͤnnte diese Furcht bis zur Ohnmacht treiben, wenn ich ihr nicht mit Gewalt Einhalt thaͤte. Die Bemerkungen des Hr. Glave, sind zwar ein wenig gesucht, aber vorzuͤglich die S. 40. uͤber die Verschiedenheit zwischen dem armen Clooß und Werther, sind mir aus der Seele geschrieben, (ich bediene mich gerne dieser deutschen Redensart, weil sie vortreflich ist, und in jeder andern Sprache fehlt.) Seine letzte Phrasis S. 45. ist eine der schoͤnsten, erhabensten Stellen die ich kenne. Wie werden einst alle Weise dieser Erde sich im Staube <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0094" n="94"/><lb/> ist mir diese Furcht nicht eingekommen. Jm Gegentheil: je naͤher ich dem Tode war, je mehr verlohr er von seiner Schrecklichkeit fuͤr mich. </p> <p>Zwar kenne ich die Empfindung, welche man <hi rendition="#b">Furcht vor dem Tode</hi> nennet, aus Erfahrung; aber ich habe diese Erfahrung immer nur im Zustande der vollkommenen Gesundheit gemacht. Jch mache sie noch jetzt, so oft ich an <hi rendition="#b">Schlagfluß, Wassersucht,</hi> u.s.w. denke; und ich kann nach dem Beispiel des großen <hi rendition="#b">Turenne</hi> in Wahrheit sagen: daß ich zwar nicht den Tod, aber wohl den Schmerz als ein wahres Uebel fuͤrchte, da ich Schmerzen ausgestanden habe, die auf der Folterbank nicht quaͤlender seyn koͤnnen. Jch gestehe, daß ich mit einer schrecklichen <hi rendition="#b">Furcht</hi> an den <hi rendition="#b">Krebs,</hi> an <hi rendition="#b">Raserei,</hi> denke. Ja, ich koͤnnte diese Furcht bis zur Ohnmacht treiben, wenn ich ihr nicht mit Gewalt Einhalt thaͤte. </p> <p>Die Bemerkungen des Hr. <hi rendition="#b">Glave,</hi> sind zwar ein wenig gesucht, aber vorzuͤglich die S. 40. uͤber die Verschiedenheit zwischen dem armen <hi rendition="#b">Clooß</hi> und <hi rendition="#b">Werther, sind mir aus der Seele geschrieben,</hi> (ich bediene mich gerne dieser deutschen Redensart, weil sie vortreflich ist, und in jeder andern Sprache fehlt.) Seine letzte Phrasis S. 45. ist eine der schoͤnsten, erhabensten Stellen die ich kenne. Wie werden einst alle Weise dieser Erde sich im Staube<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [94/0094]
ist mir diese Furcht nicht eingekommen. Jm Gegentheil: je naͤher ich dem Tode war, je mehr verlohr er von seiner Schrecklichkeit fuͤr mich.
Zwar kenne ich die Empfindung, welche man Furcht vor dem Tode nennet, aus Erfahrung; aber ich habe diese Erfahrung immer nur im Zustande der vollkommenen Gesundheit gemacht. Jch mache sie noch jetzt, so oft ich an Schlagfluß, Wassersucht, u.s.w. denke; und ich kann nach dem Beispiel des großen Turenne in Wahrheit sagen: daß ich zwar nicht den Tod, aber wohl den Schmerz als ein wahres Uebel fuͤrchte, da ich Schmerzen ausgestanden habe, die auf der Folterbank nicht quaͤlender seyn koͤnnen. Jch gestehe, daß ich mit einer schrecklichen Furcht an den Krebs, an Raserei, denke. Ja, ich koͤnnte diese Furcht bis zur Ohnmacht treiben, wenn ich ihr nicht mit Gewalt Einhalt thaͤte.
Die Bemerkungen des Hr. Glave, sind zwar ein wenig gesucht, aber vorzuͤglich die S. 40. uͤber die Verschiedenheit zwischen dem armen Clooß und Werther, sind mir aus der Seele geschrieben, (ich bediene mich gerne dieser deutschen Redensart, weil sie vortreflich ist, und in jeder andern Sprache fehlt.) Seine letzte Phrasis S. 45. ist eine der schoͤnsten, erhabensten Stellen die ich kenne. Wie werden einst alle Weise dieser Erde sich im Staube
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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