Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0104" n="102"/><lb/> che die Gemuͤthsschwankungen zwischen der troͤstlichen Hofnung, die ich als Mensch und Arzt dem Kranken machte, von der einen Seite, und zwischen seinem eigenen Gefuͤhle der nagenden Krankheit, von der andern, ihn versetzten. Nun entschloß ich mich zu einem harten Mittel, um ihn mit Gewalt aus einem Zustande zu reißen, der ihn sicher binnen einigen Wochen aufgerieben haben wuͤrde. Eines Morgens kam ich zu ihm, da er eben einigen Freunden seine verzweiflungsvolle Verfassung vortobte, und kuͤndigte ihm mit einer kalten ernsthaften Miene den Tod an. Jch habe bis vor einigen Tagen, sagte ich, noch immer geglaubt, der Krankheit eine guͤnstigere Wendung geben zu koͤnnen; aber leider, ist sie staͤrker als alle menschliche Kunst. Es ist nun so weit mit Jhnen gekommen, setzte ich hinzu, daß Sie ohne allen Anschein von Rettung verloren sind. Die Saͤfte sind ganz in Faͤulniß uͤbergegangen, die Lungen zereitert, und in dem Herzen hat sich ein fuͤrchterlicher <hi rendition="#b">Polyp</hi> gebildet. Alle Hofnung ist nun verschwunden; binnen zehn Tagen unterliegen Sie. Hierauf ermahnte ich ihn, sich als ein Weiser gefaßt zu machen, und den Vorschriften genau zu folgen, die ich ihm ertheilte und die blos die Absicht haͤtten, ihm seinen Zustand ertraͤglicher zu machen und den Uebergang zum Tode zu erleichtern. Diese ungewoͤhnliche Anrede eines Arztes und Freundes that sogleich die auffallendste Wirkung. Nach einigen ungestuͤmen, aber natuͤrlichen Aufregungen des<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [102/0104]
che die Gemuͤthsschwankungen zwischen der troͤstlichen Hofnung, die ich als Mensch und Arzt dem Kranken machte, von der einen Seite, und zwischen seinem eigenen Gefuͤhle der nagenden Krankheit, von der andern, ihn versetzten. Nun entschloß ich mich zu einem harten Mittel, um ihn mit Gewalt aus einem Zustande zu reißen, der ihn sicher binnen einigen Wochen aufgerieben haben wuͤrde. Eines Morgens kam ich zu ihm, da er eben einigen Freunden seine verzweiflungsvolle Verfassung vortobte, und kuͤndigte ihm mit einer kalten ernsthaften Miene den Tod an. Jch habe bis vor einigen Tagen, sagte ich, noch immer geglaubt, der Krankheit eine guͤnstigere Wendung geben zu koͤnnen; aber leider, ist sie staͤrker als alle menschliche Kunst. Es ist nun so weit mit Jhnen gekommen, setzte ich hinzu, daß Sie ohne allen Anschein von Rettung verloren sind. Die Saͤfte sind ganz in Faͤulniß uͤbergegangen, die Lungen zereitert, und in dem Herzen hat sich ein fuͤrchterlicher Polyp gebildet. Alle Hofnung ist nun verschwunden; binnen zehn Tagen unterliegen Sie. Hierauf ermahnte ich ihn, sich als ein Weiser gefaßt zu machen, und den Vorschriften genau zu folgen, die ich ihm ertheilte und die blos die Absicht haͤtten, ihm seinen Zustand ertraͤglicher zu machen und den Uebergang zum Tode zu erleichtern. Diese ungewoͤhnliche Anrede eines Arztes und Freundes that sogleich die auffallendste Wirkung. Nach einigen ungestuͤmen, aber natuͤrlichen Aufregungen des
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(2015-06-09T11:00:00Z)
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