Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann noch für Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue fremde Jdee die sich in uns drängt -- sie dringe so plötzlich ein als sie wolle -- wird nicht diese Jdee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit dieser, anschließen? -- Der stärkste Beweis den man wider die ununterbrochene Reihe ähnlicher ineinander gegründeter Jdeen geführt hat, ist von dieser Unähnlichkeit fremder Jdeen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die malerischen Verse lese: Diffugere nives, redeunt iam gramina campis, arboribusque comae, und ich nun so ganz darin vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und
Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann noch fuͤr Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue fremde Jdee die sich in uns draͤngt — sie dringe so ploͤtzlich ein als sie wolle — wird nicht diese Jdee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit dieser, anschließen? — Der staͤrkste Beweis den man wider die ununterbrochene Reihe aͤhnlicher ineinander gegruͤndeter Jdeen gefuͤhrt hat, ist von dieser Unaͤhnlichkeit fremder Jdeen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die malerischen Verse lese: Diffugere nives, redeunt iam gramina campis, arboribusque comae, und ich nun so ganz darin vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><hi rendition="#b"><pb facs="#f0117" n="115"/><lb/> haben?</hi> muͤssen wir nicht, um von Dingen dasjenige zu scheiden was ihre Verschiedenheiten ausmacht, vorher bemerkt haben was sie Aehnliches haben? Verschiedenheiten setzen ja schon Gleichheit voraus, sonst wuͤrden Dinge sich ja nicht auf einander beziehen lassen, wuͤrden ja nicht die Moͤglichkeit einschließen, Verschiedenheiten <hi rendition="#b">zwischen ihnen</hi> wahrzunehmen! und also setzt Wahrnehmung der Verschiedenheiten auch schon Wahrnehmung der Gleichheit voraus. — Jst also der Witz sogar da thaͤtig, wo es auf Wahrnehmung der Verschiedenheiten ankoͤmmt; wird er es denn nicht da seyn, wo die Jdee der Aehnlichkeit die deutlichste ist?</p> <p>Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann noch fuͤr Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue fremde Jdee die sich in uns draͤngt — sie dringe so ploͤtzlich ein als sie wolle — wird nicht diese Jdee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit dieser, anschließen? — Der staͤrkste Beweis den man wider die ununterbrochene Reihe aͤhnlicher ineinander gegruͤndeter Jdeen gefuͤhrt hat, ist von dieser Unaͤhnlichkeit fremder Jdeen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die malerischen Verse lese: <hi rendition="#aq">Diffugere nives, redeunt iam gramina campis, arboribusque comae,</hi> und ich nun so ganz darin vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [115/0117]
haben? muͤssen wir nicht, um von Dingen dasjenige zu scheiden was ihre Verschiedenheiten ausmacht, vorher bemerkt haben was sie Aehnliches haben? Verschiedenheiten setzen ja schon Gleichheit voraus, sonst wuͤrden Dinge sich ja nicht auf einander beziehen lassen, wuͤrden ja nicht die Moͤglichkeit einschließen, Verschiedenheiten zwischen ihnen wahrzunehmen! und also setzt Wahrnehmung der Verschiedenheiten auch schon Wahrnehmung der Gleichheit voraus. — Jst also der Witz sogar da thaͤtig, wo es auf Wahrnehmung der Verschiedenheiten ankoͤmmt; wird er es denn nicht da seyn, wo die Jdee der Aehnlichkeit die deutlichste ist?
Und nun, ist das, geht der Witz dem Scharfsinn vorher; was finden wir dann noch fuͤr Schwierigkeit bei der untern Aufmerksamkeit? wird nicht eine neue fremde Jdee die sich in uns draͤngt — sie dringe so ploͤtzlich ein als sie wolle — wird nicht diese Jdee, sich an die letzte, die wir unmittelbar vor ihrem Aufflammen hatten, durch die Mittelidee von ihrer Aehnlichkeit mit dieser, anschließen? — Der staͤrkste Beweis den man wider die ununterbrochene Reihe aͤhnlicher ineinander gegruͤndeter Jdeen gefuͤhrt hat, ist von dieser Unaͤhnlichkeit fremder Jdeen hergenommen. Man sagt: wenn ich z.B. die malerischen Verse lese: Diffugere nives, redeunt iam gramina campis, arboribusque comae, und ich nun so ganz darin vertieft bin, nichts weiter außer mir denke, und
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0901_1792/117>, abgerufen am 16.02.2025. |