Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 1. Berlin, 1792.
So bald er da angelangt war, gieng er zu dem Oberrabbiner, sagte ihm sein Anliegen, und bat ihn flehentlich um Hülfe darin. Dieser erstaunte nicht wenig darüber, indem seit 31 Jahren, daß er von Deutschland zurückgekommen war, noch kein Mensch sich gefunden hatte, der eine Bitte dieser Art an ihn gethan hätte, und versprach, ihm einige alte deutsche Bücher zu leihen. Die vorzüglichsten darunter waren eine alte Optik und Sturms Physik. B. J. wußte diesem braven Oberrabbiner seine Dankbarkeit nicht genug auszudrücken, steckte diese paar Bücher ein, und kehrte damit voller Entzücken nach Hause zurück. Nachdem er diese durchstudirt hatte, wurden ihm auf einmal seine Augen aufgethan. Er glaubte nun den Schlüssel zu allen Geheimnissen der Natur erlangt zu haben. Er wußte wie ein Gewitter, Thau, Regen, u.s.w. entstehe. Er sahe über alle andern, die dieses noch nicht wußten, stolz herab, lachte über ihre Vorurtheile und Aberglauben, und erbot sich, ihre Begriffe hierin aufzuklären und ihren Verstand zu erleuchten. Dieses wollte aber nicht überall anschlagen. Er bemühte sich einmal einem Talmudisten beizubringen, daß die Erde rund sey, und daß wir Gegenfüßler hätten. Dieser aber machte ihm den Ein-
So bald er da angelangt war, gieng er zu dem Oberrabbiner, sagte ihm sein Anliegen, und bat ihn flehentlich um Huͤlfe darin. Dieser erstaunte nicht wenig daruͤber, indem seit 31 Jahren, daß er von Deutschland zuruͤckgekommen war, noch kein Mensch sich gefunden hatte, der eine Bitte dieser Art an ihn gethan haͤtte, und versprach, ihm einige alte deutsche Buͤcher zu leihen. Die vorzuͤglichsten darunter waren eine alte Optik und Sturms Physik. B. J. wußte diesem braven Oberrabbiner seine Dankbarkeit nicht genug auszudruͤcken, steckte diese paar Buͤcher ein, und kehrte damit voller Entzuͤcken nach Hause zuruͤck. Nachdem er diese durchstudirt hatte, wurden ihm auf einmal seine Augen aufgethan. Er glaubte nun den Schluͤssel zu allen Geheimnissen der Natur erlangt zu haben. Er wußte wie ein Gewitter, Thau, Regen, u.s.w. entstehe. Er sahe uͤber alle andern, die dieses noch nicht wußten, stolz herab, lachte uͤber ihre Vorurtheile und Aberglauben, und erbot sich, ihre Begriffe hierin aufzuklaͤren und ihren Verstand zu erleuchten. Dieses wollte aber nicht uͤberall anschlagen. Er bemuͤhte sich einmal einem Talmudisten beizubringen, daß die Erde rund sey, und daß wir Gegenfuͤßler haͤtten. Dieser aber machte ihm den Ein- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0044" n="42"/><lb/> Familie ein Wort davon zu sagen, machte er sich auf die Reise nach F. in der Mitte des Winters.</p> <p>So bald er da angelangt war, gieng er zu dem Oberrabbiner, sagte ihm sein Anliegen, und bat ihn flehentlich um Huͤlfe darin. Dieser erstaunte nicht wenig daruͤber, indem seit 31 Jahren, daß er von Deutschland zuruͤckgekommen war, noch kein Mensch sich gefunden hatte, der eine Bitte dieser Art an ihn gethan haͤtte, und versprach, ihm einige alte deutsche Buͤcher zu leihen. Die vorzuͤglichsten darunter waren eine alte Optik und Sturms Physik. </p> <p><hi rendition="#b"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>B. J.</persName></hi> wußte diesem braven Oberrabbiner seine Dankbarkeit nicht genug auszudruͤcken, steckte diese paar Buͤcher ein, und kehrte damit voller Entzuͤcken nach Hause zuruͤck.</p> <p>Nachdem er diese durchstudirt hatte, wurden ihm auf einmal seine Augen aufgethan. Er glaubte nun den Schluͤssel zu allen Geheimnissen der Natur erlangt zu haben. Er wußte wie ein Gewitter, Thau, Regen, u.s.w. entstehe.</p> <p>Er sahe uͤber alle andern, die dieses noch nicht wußten, stolz herab, lachte uͤber ihre Vorurtheile und Aberglauben, und erbot sich, ihre Begriffe hierin aufzuklaͤren und ihren Verstand zu erleuchten.</p> <p>Dieses wollte aber nicht uͤberall anschlagen. Er bemuͤhte sich einmal einem Talmudisten beizubringen, daß die Erde rund sey, und daß wir Gegenfuͤßler haͤtten. Dieser aber machte ihm den Ein-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [42/0044]
Familie ein Wort davon zu sagen, machte er sich auf die Reise nach F. in der Mitte des Winters.
So bald er da angelangt war, gieng er zu dem Oberrabbiner, sagte ihm sein Anliegen, und bat ihn flehentlich um Huͤlfe darin. Dieser erstaunte nicht wenig daruͤber, indem seit 31 Jahren, daß er von Deutschland zuruͤckgekommen war, noch kein Mensch sich gefunden hatte, der eine Bitte dieser Art an ihn gethan haͤtte, und versprach, ihm einige alte deutsche Buͤcher zu leihen. Die vorzuͤglichsten darunter waren eine alte Optik und Sturms Physik.
B. J. wußte diesem braven Oberrabbiner seine Dankbarkeit nicht genug auszudruͤcken, steckte diese paar Buͤcher ein, und kehrte damit voller Entzuͤcken nach Hause zuruͤck.
Nachdem er diese durchstudirt hatte, wurden ihm auf einmal seine Augen aufgethan. Er glaubte nun den Schluͤssel zu allen Geheimnissen der Natur erlangt zu haben. Er wußte wie ein Gewitter, Thau, Regen, u.s.w. entstehe.
Er sahe uͤber alle andern, die dieses noch nicht wußten, stolz herab, lachte uͤber ihre Vorurtheile und Aberglauben, und erbot sich, ihre Begriffe hierin aufzuklaͤren und ihren Verstand zu erleuchten.
Dieses wollte aber nicht uͤberall anschlagen. Er bemuͤhte sich einmal einem Talmudisten beizubringen, daß die Erde rund sey, und daß wir Gegenfuͤßler haͤtten. Dieser aber machte ihm den Ein-
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