Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


lange vorher und bis dahin sehr unrecht gefaßt, das Kritische nicht genetisch genug angesehen, hiemit im Grunde gar nicht nach des Autors Sinn verstanden hat. Er ist erst durch die Reinholdische Vorstellungsart, die er durchaus natürlich genetisch entwickelnd gefunden, zu rechter Sinneseröfnung gekommen. Genetisch auf seine eigene Art, wie sich an Kants Platz, hatt' er ihn verstanden.

Obereit hatte zwar schon im September vorigen Jahrs, nachdem er die neue Kritik der Urtheilskraft von Kant mit größter Aufmerksamkeit durchgelesen, am Ende ihm eine Kapitalsache über die Spekulation gewonnen gegeben. Beim höchsten Gegenstande und Jnteresse nehmlich, begab er sich der zuletzt vorkommenden grundscharfen Entdeckung, der Unzulänglichkeit aller Beweisversuche für das Daseyn Gottes außer dem Moralischen, gab auch seine eignen vormaligen Beweise dafür aus Ueberzeugung auf, so äußerst eingenommen er sonst für sie war, denn er erkannte nun die bestmöglichen Spekulativen selbst, als aus moralischer Sinnesart abstammend;*) da er die Gewohnheit hat, nicht

*) Also auch die bestmögliche Spekulation der Mathematik wird von H. Obereit als aus moralischer Sinnesart abstammend erkannt? Vermuthlich will H. Obereit hiemit so viel sagen: der moralischen Sinnesart liegt, nach dem Kantischen Moralprinzip, der Satz des Widerspruchs zum Bestimmungsgrunde. Nun aber muß dieser Satz einer jeden Spekulation als Conditio sine qua non, zum Grunde liegen, folglich etc. Aber damit hat uns H. Obereit nichts Neues gesagt; jeder Denker stimmt mit ihm hierinn von aller Ewigkeit her überein. Sollte er aber damit sagen wollen, er erkenne bloß die Moral, worin der Satz des Widerspruchs nicht blos Conditio sine qua non, sondern reeller Bestimmungsgrund sey, für die bestmögliche Spekulation, so sagt er freilich hiemit was Neues! S. M.


lange vorher und bis dahin sehr unrecht gefaßt, das Kritische nicht genetisch genug angesehen, hiemit im Grunde gar nicht nach des Autors Sinn verstanden hat. Er ist erst durch die Reinholdische Vorstellungsart, die er durchaus natuͤrlich genetisch entwickelnd gefunden, zu rechter Sinneseroͤfnung gekommen. Genetisch auf seine eigene Art, wie sich an Kants Platz, hatt' er ihn verstanden.

Obereit hatte zwar schon im September vorigen Jahrs, nachdem er die neue Kritik der Urtheilskraft von Kant mit groͤßter Aufmerksamkeit durchgelesen, am Ende ihm eine Kapitalsache uͤber die Spekulation gewonnen gegeben. Beim hoͤchsten Gegenstande und Jnteresse nehmlich, begab er sich der zuletzt vorkommenden grundscharfen Entdeckung, der Unzulaͤnglichkeit aller Beweisversuche fuͤr das Daseyn Gottes außer dem Moralischen, gab auch seine eignen vormaligen Beweise dafuͤr aus Ueberzeugung auf, so aͤußerst eingenommen er sonst fuͤr sie war, denn er erkannte nun die bestmoͤglichen Spekulativen selbst, als aus moralischer Sinnesart abstammend;*) da er die Gewohnheit hat, nicht

*) Also auch die bestmoͤgliche Spekulation der Mathematik wird von H. Obereit als aus moralischer Sinnesart abstammend erkannt? Vermuthlich will H. Obereit hiemit so viel sagen: der moralischen Sinnesart liegt, nach dem Kantischen Moralprinzip, der Satz des Widerspruchs zum Bestimmungsgrunde. Nun aber muß dieser Satz einer jeden Spekulation als Conditio sine qua non, zum Grunde liegen, folglich etc. Aber damit hat uns H. Obereit nichts Neues gesagt; jeder Denker stimmt mit ihm hierinn von aller Ewigkeit her uͤberein. Sollte er aber damit sagen wollen, er erkenne bloß die Moral, worin der Satz des Widerspruchs nicht blos Conditio sine qua non, sondern reeller Bestimmungsgrund sey, fuͤr die bestmoͤgliche Spekulation, so sagt er freilich hiemit was Neues! S. M.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0110" n="110"/><lb/>
lange vorher und bis dahin  sehr unrecht gefaßt, das Kritische nicht genetisch  genug angesehen, hiemit im Grunde gar nicht nach des  Autors Sinn verstanden hat. Er ist erst durch die  Reinholdische Vorstellungsart, die er durchaus  natu&#x0364;rlich genetisch entwickelnd gefunden, zu rechter  Sinnesero&#x0364;fnung gekommen. Genetisch auf seine eigene  Art, wie sich an <persName ref="#ref0128"><note type="editorial">Kant, Jmmanuel</note>Kants</persName> Platz, hatt' er ihn  verstanden.</p>
            <p><persName ref="#ref0052"><note type="editorial">Obereit, Jakob Hermann</note>Obereit</persName> hatte zwar schon im September  vorigen Jahrs, nachdem er die neue <hi rendition="#b">Kritik der Urtheilskraft</hi> von <persName ref="#ref0128"><note type="editorial">Kant, Jmmanuel</note>Kant</persName>  mit gro&#x0364;ßter Aufmerksamkeit durchgelesen, am Ende ihm  eine Kapitalsache u&#x0364;ber die Spekulation gewonnen  gegeben. Beim ho&#x0364;chsten Gegenstande und Jnteresse  nehmlich, begab er sich der zuletzt vorkommenden  grundscharfen Entdeckung, der Unzula&#x0364;nglichkeit aller  Beweisversuche fu&#x0364;r das Daseyn Gottes außer dem  Moralischen, gab auch seine eignen vormaligen  Beweise dafu&#x0364;r aus Ueberzeugung auf, so a&#x0364;ußerst  eingenommen er sonst fu&#x0364;r sie war, denn er erkannte  nun die bestmo&#x0364;glichen Spekulativen selbst, als aus  moralischer Sinnesart <hi rendition="#b">abstammend;*)</hi><note place="foot"><p>*) Also  auch die bestmo&#x0364;gliche Spekulation der Mathematik  wird von H. <persName ref="#ref0052"><note type="editorial">Obereit, Jakob Hermann</note>Obereit</persName> als <hi rendition="#b">aus  moralischer Sinnesart abstammend</hi> erkannt?  Vermuthlich will H. <persName ref="#ref0052"><note type="editorial">Obereit, Jakob Hermann</note>Obereit</persName> hiemit so viel sagen: der  moralischen Sinnesart liegt, nach dem <persName ref="#ref0128"><note type="editorial">Kant, Jmmanuel</note>Kantischen</persName> Moralprinzip, der Satz des  Widerspruchs zum Bestimmungsgrunde. Nun aber muß  dieser Satz einer jeden Spekulation als <hi rendition="#i">Conditio sine qua non,</hi> zum  Grunde liegen, folglich etc. Aber damit hat uns H.  <persName ref="#ref0052"><note type="editorial">Obereit, Jakob Hermann</note>Obereit</persName> nichts Neues gesagt;  jeder Denker stimmt mit ihm hierinn von aller  Ewigkeit her u&#x0364;berein. Sollte er aber damit sagen  wollen, er erkenne bloß die Moral, worin der Satz  des Widerspruchs nicht blos <hi rendition="#i">Conditio sine qua non,</hi> sondern reeller  Bestimmungsgrund sey, fu&#x0364;r die bestmo&#x0364;gliche  Spekulation, so sagt er freilich hiemit was  Neues!</p><p rendition="#right"><persName ref="#ref0003"><note type="editorial">Maimon, Salomon</note>S.  M.</persName></p></note> da er die  Gewohnheit hat, nicht<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0110] lange vorher und bis dahin sehr unrecht gefaßt, das Kritische nicht genetisch genug angesehen, hiemit im Grunde gar nicht nach des Autors Sinn verstanden hat. Er ist erst durch die Reinholdische Vorstellungsart, die er durchaus natuͤrlich genetisch entwickelnd gefunden, zu rechter Sinneseroͤfnung gekommen. Genetisch auf seine eigene Art, wie sich an Kants Platz, hatt' er ihn verstanden. Obereit hatte zwar schon im September vorigen Jahrs, nachdem er die neue Kritik der Urtheilskraft von Kant mit groͤßter Aufmerksamkeit durchgelesen, am Ende ihm eine Kapitalsache uͤber die Spekulation gewonnen gegeben. Beim hoͤchsten Gegenstande und Jnteresse nehmlich, begab er sich der zuletzt vorkommenden grundscharfen Entdeckung, der Unzulaͤnglichkeit aller Beweisversuche fuͤr das Daseyn Gottes außer dem Moralischen, gab auch seine eignen vormaligen Beweise dafuͤr aus Ueberzeugung auf, so aͤußerst eingenommen er sonst fuͤr sie war, denn er erkannte nun die bestmoͤglichen Spekulativen selbst, als aus moralischer Sinnesart abstammend;*) da er die Gewohnheit hat, nicht *) Also auch die bestmoͤgliche Spekulation der Mathematik wird von H. Obereit als aus moralischer Sinnesart abstammend erkannt? Vermuthlich will H. Obereit hiemit so viel sagen: der moralischen Sinnesart liegt, nach dem Kantischen Moralprinzip, der Satz des Widerspruchs zum Bestimmungsgrunde. Nun aber muß dieser Satz einer jeden Spekulation als Conditio sine qua non, zum Grunde liegen, folglich etc. Aber damit hat uns H. Obereit nichts Neues gesagt; jeder Denker stimmt mit ihm hierinn von aller Ewigkeit her uͤberein. Sollte er aber damit sagen wollen, er erkenne bloß die Moral, worin der Satz des Widerspruchs nicht blos Conditio sine qua non, sondern reeller Bestimmungsgrund sey, fuͤr die bestmoͤgliche Spekulation, so sagt er freilich hiemit was Neues! S. M.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/110
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/110>, abgerufen am 04.12.2024.