Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

Unseelig Mittelding, von Engeln und von Vieh! Du prahlst mit der Vernunft, und du gebrauchst sie nie. Was helfen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren? Zu schwach, sie zu verstehn, zu stolz, sie zu entbehren, Du bleibest stets ein Kind, das täglich unrecht wählet, Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder fehlet: Du urtheilst überall, und suchst nie recht, warum? Einbildung ist dein Rath, und du sein Eigenthum. Jm Geisterlabyrinth, in scheinbaren Begriffen, Kann auch der Klügste sich in fremde Bahn vertiefen, Wenn auch sein sichrer Schritt sich nie vom Pfad vergißt, Am Ende sieht er doch, daß er im Anfang ist. Wohl angebrachte Müh! gelehrte Sterbliche! -- Euch selbst mißkennet ihr, sonst alles wißt ihr eh. Ach! eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit, Der klugen Zeitvertreib, ein Trost der stolzen Blindheit. v. Haller. Wo ist der Mann von Witz und Redlichkeit, Der fauler Dummheit Macht und Heer nicht scheut, Der Fesseln müd', in kühnem Geist entbrannt, Zuerst für alle, sich allein verbannt: Den dichten Lanzenhaag im Sterben niederdrückt, Und über seinen Leib den Weg zur Freiheit brückt? Bodmer.

Lamberts Zeit und Gelegenheit, die der physischen Mathematik meist gehörte, verstattete ihm nicht, jene durchgängige Bestimmungsangabe für die Metaphisik selbst genau auszuführen, nur als Wegbahner durchaus kritischer Vernunft Anfangsversuche darzu zu machen, die in seinem Organon


Unseelig Mittelding, von Engeln und von Vieh! Du prahlst mit der Vernunft, und du gebrauchst sie nie. Was helfen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren? Zu schwach, sie zu verstehn, zu stolz, sie zu entbehren, Du bleibest stets ein Kind, das taͤglich unrecht waͤhlet, Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder fehlet: Du urtheilst uͤberall, und suchst nie recht, warum? Einbildung ist dein Rath, und du sein Eigenthum. Jm Geisterlabyrinth, in scheinbaren Begriffen, Kann auch der Kluͤgste sich in fremde Bahn vertiefen, Wenn auch sein sichrer Schritt sich nie vom Pfad vergißt, Am Ende sieht er doch, daß er im Anfang ist. Wohl angebrachte Muͤh! gelehrte Sterbliche! — Euch selbst mißkennet ihr, sonst alles wißt ihr eh. Ach! eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit, Der klugen Zeitvertreib, ein Trost der stolzen Blindheit. v. Haller. Wo ist der Mann von Witz und Redlichkeit, Der fauler Dummheit Macht und Heer nicht scheut, Der Fesseln muͤd', in kuͤhnem Geist entbrannt, Zuerst fuͤr alle, sich allein verbannt: Den dichten Lanzenhaag im Sterben niederdruͤckt, Und uͤber seinen Leib den Weg zur Freiheit bruͤckt? Bodmer.

Lamberts Zeit und Gelegenheit, die der physischen Mathematik meist gehoͤrte, verstattete ihm nicht, jene durchgaͤngige Bestimmungsangabe fuͤr die Metaphisik selbst genau auszufuͤhren, nur als Wegbahner durchaus kritischer Vernunft Anfangsversuche darzu zu machen, die in seinem Organon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0132" n="132"/><lb/>
            <cit>
              <quote>
                <l>Unseelig Mittelding, von Engeln und von Vieh!</l>
                <l>Du prahlst mit der Vernunft, und du gebrauchst sie  nie.</l>
                <l>Was helfen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren?</l>
                <l>Zu schwach, sie zu verstehn, zu stolz, sie zu  entbehren,</l>
                <l>Du bleibest stets ein Kind, das ta&#x0364;glich unrecht  wa&#x0364;hlet,</l>
                <l>Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder  fehlet:</l>
                <l>Du urtheilst u&#x0364;berall, und suchst nie recht, warum?</l>
                <l>Einbildung ist dein Rath, und du sein Eigenthum.</l>
                <l>Jm Geisterlabyrinth, in scheinbaren Begriffen,</l>
                <l>Kann auch der Klu&#x0364;gste sich in fremde Bahn vertiefen,</l>
                <l>Wenn auch sein sichrer Schritt sich nie vom Pfad  vergißt,</l>
                <l>Am Ende sieht er doch, <hi rendition="#b">daß er im Anfang  ist.</hi></l>
                <l>Wohl angebrachte Mu&#x0364;h! gelehrte Sterbliche! &#x2014;</l>
                <l> <hi rendition="#b">Euch selbst mißkennet ihr, sonst  alles wißt ihr eh.</hi> </l>
                <l> <hi rendition="#b">Ach! eure Wissenschaft ist noch  der Weisheit Kindheit,</hi> </l>
                <l> <hi rendition="#b">Der klugen Zeitvertreib, ein Trost  der stolzen Blindheit.</hi> </l>
              </quote>
              <bibl> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#b">v. Haller.</hi> </hi> </bibl>
            </cit>
            <cit>
              <quote>
                <l>Wo ist der Mann von Witz und Redlichkeit,</l>
                <l>Der fauler Dummheit Macht und Heer nicht scheut,</l>
                <l>Der Fesseln mu&#x0364;d', in ku&#x0364;hnem Geist entbrannt,</l>
                <l>Zuerst fu&#x0364;r alle, sich allein verbannt:</l>
                <l>Den dichten Lanzenhaag im Sterben niederdru&#x0364;ckt,</l>
                <l>Und u&#x0364;ber seinen Leib den Weg zur Freiheit bru&#x0364;ckt?</l>
              </quote>
              <bibl> <hi rendition="#right"> <hi rendition="#b">Bodmer.</hi> </hi> </bibl>
            </cit>
            <p>Lamberts Zeit und Gelegenheit, die der physischen  Mathematik meist geho&#x0364;rte, verstattete ihm nicht,  jene durchga&#x0364;ngige Bestimmungsangabe fu&#x0364;r die  Metaphisik selbst genau auszufu&#x0364;hren, nur als  Wegbahner durchaus kritischer Vernunft  Anfangsversuche darzu zu machen, die in seinem  Organon<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0132] Unseelig Mittelding, von Engeln und von Vieh! Du prahlst mit der Vernunft, und du gebrauchst sie nie. Was helfen dir zuletzt der Weisheit hohe Lehren? Zu schwach, sie zu verstehn, zu stolz, sie zu entbehren, Du bleibest stets ein Kind, das taͤglich unrecht waͤhlet, Den Fehler bald erkennt, und gleich drauf wieder fehlet: Du urtheilst uͤberall, und suchst nie recht, warum? Einbildung ist dein Rath, und du sein Eigenthum. Jm Geisterlabyrinth, in scheinbaren Begriffen, Kann auch der Kluͤgste sich in fremde Bahn vertiefen, Wenn auch sein sichrer Schritt sich nie vom Pfad vergißt, Am Ende sieht er doch, daß er im Anfang ist. Wohl angebrachte Muͤh! gelehrte Sterbliche! — Euch selbst mißkennet ihr, sonst alles wißt ihr eh. Ach! eure Wissenschaft ist noch der Weisheit Kindheit, Der klugen Zeitvertreib, ein Trost der stolzen Blindheit. v. Haller. Wo ist der Mann von Witz und Redlichkeit, Der fauler Dummheit Macht und Heer nicht scheut, Der Fesseln muͤd', in kuͤhnem Geist entbrannt, Zuerst fuͤr alle, sich allein verbannt: Den dichten Lanzenhaag im Sterben niederdruͤckt, Und uͤber seinen Leib den Weg zur Freiheit bruͤckt? Bodmer. Lamberts Zeit und Gelegenheit, die der physischen Mathematik meist gehoͤrte, verstattete ihm nicht, jene durchgaͤngige Bestimmungsangabe fuͤr die Metaphisik selbst genau auszufuͤhren, nur als Wegbahner durchaus kritischer Vernunft Anfangsversuche darzu zu machen, die in seinem Organon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/132
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/132>, abgerufen am 04.12.2024.