Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


zuförderst etwas über das Bewußtsein überhaupt sagen müssen.

Obgleich alle Vorstellungen, welche in uns erzeugt werden, oder welche wir von außen erhalten, das Wesen, welches sie hervorbringt oder aufnimmt, schon voraussetzen; ob wir gleich eine Art von Erkenntniß von unserm Jch haben müssen, ehe wir gar eine Vorstellung haben können;*) so haben wir dennoch erst alsdann ein Bewußtsein von unsrer Jchheit, wenn wir die Vorstellungen, welche in uns entstehn, wahrnehmen, und von ihnen einen Rückblick auf die Quelle derselben, auf das Wesen, welches sie erzeugt, werfen. Die äußern sinnlichen Vorstellungen sind es gar nicht, welche uns unmittelbar auf das Wesen, welches sie aufnimmt, leiten.

Die Erfahrung bestätigt diese Behauptung. Der gemeine Mann ist mehrentheils ein grober Realist; er kann sich davon keinen Begrif machen,

*) Jch glaube schwerlich; die Wahrnehmung des Jchs kann nur durch eine Vorstellung, d.h. eine Beziehung eines Merkmals auf sein Objekt erhalten werden, indem man dadurch zum Bewußtsein der Persönlichkeit, oder Einheit des Subjekts zu verschiedenen Zeiten (zur Zeit der Bildung der zusammengesetzten Vorstellung des Objekts, und der einfachen Vorstellung als ihres Merkmals) gelangt. S. M.


zufoͤrderst etwas uͤber das Bewußtsein uͤberhaupt sagen muͤssen.

Obgleich alle Vorstellungen, welche in uns erzeugt werden, oder welche wir von außen erhalten, das Wesen, welches sie hervorbringt oder aufnimmt, schon voraussetzen; ob wir gleich eine Art von Erkenntniß von unserm Jch haben muͤssen, ehe wir gar eine Vorstellung haben koͤnnen;*) so haben wir dennoch erst alsdann ein Bewußtsein von unsrer Jchheit, wenn wir die Vorstellungen, welche in uns entstehn, wahrnehmen, und von ihnen einen Ruͤckblick auf die Quelle derselben, auf das Wesen, welches sie erzeugt, werfen. Die aͤußern sinnlichen Vorstellungen sind es gar nicht, welche uns unmittelbar auf das Wesen, welches sie aufnimmt, leiten.

Die Erfahrung bestaͤtigt diese Behauptung. Der gemeine Mann ist mehrentheils ein grober Realist; er kann sich davon keinen Begrif machen,

*) Jch glaube schwerlich; die Wahrnehmung des Jchs kann nur durch eine Vorstellung, d.h. eine Beziehung eines Merkmals auf sein Objekt erhalten werden, indem man dadurch zum Bewußtsein der Persoͤnlichkeit, oder Einheit des Subjekts zu verschiedenen Zeiten (zur Zeit der Bildung der zusammengesetzten Vorstellung des Objekts, und der einfachen Vorstellung als ihres Merkmals) gelangt. S. M.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0022" n="22"/><lb/>
zufo&#x0364;rderst etwas u&#x0364;ber das Bewußtsein u&#x0364;berhaupt  sagen mu&#x0364;ssen.</p>
            <p>Obgleich alle Vorstellungen, welche in uns erzeugt  werden, oder welche wir von außen erhalten, das  Wesen, welches sie hervorbringt oder aufnimmt, schon  <choice><corr>voraussetzen;</corr><sic>voraussetzt:</sic></choice> ob wir gleich  eine Art von <hi rendition="#b">Erkenntniß</hi> von  unserm Jch haben mu&#x0364;ssen, ehe wir gar eine  Vorstellung haben ko&#x0364;nnen;*)<note place="foot"><p>*)  Jch glaube schwerlich; die Wahrnehmung des <hi rendition="#b">Jchs</hi> kann nur durch eine  Vorstellung, d.h. <hi rendition="#b">eine Beziehung  eines Merkmals auf sein Objekt</hi> erhalten  werden, indem man dadurch zum Bewußtsein der <hi rendition="#b">Perso&#x0364;nlichkeit,</hi> oder Einheit  des Subjekts zu verschiedenen Zeiten (zur Zeit der  Bildung der zusammengesetzten Vorstellung des  Objekts, und der einfachen Vorstellung als ihres  Merkmals) gelangt.</p><p rend="indention7"><hi rendition="#b">S.  M.</hi></p></note> so haben wir dennoch erst  alsdann ein <hi rendition="#b">Bewußtsein</hi> von  unsrer Jchheit, wenn wir die Vorstellungen, welche <hi rendition="#b">in uns entstehn,</hi> wahrnehmen, und von ihnen einen Ru&#x0364;ckblick auf die  Quelle derselben, auf das Wesen, welches sie  erzeugt, werfen. Die a&#x0364;ußern sinnlichen Vorstellungen  sind es gar nicht, welche uns <hi rendition="#b">unmittelbar</hi> auf das Wesen, welches sie  aufnimmt, leiten.</p>
            <p>Die Erfahrung besta&#x0364;tigt diese Behauptung. Der gemeine  Mann ist mehrentheils ein grober Realist; er kann  sich davon keinen Begrif machen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0022] zufoͤrderst etwas uͤber das Bewußtsein uͤberhaupt sagen muͤssen. Obgleich alle Vorstellungen, welche in uns erzeugt werden, oder welche wir von außen erhalten, das Wesen, welches sie hervorbringt oder aufnimmt, schon voraussetzen; ob wir gleich eine Art von Erkenntniß von unserm Jch haben muͤssen, ehe wir gar eine Vorstellung haben koͤnnen;*) so haben wir dennoch erst alsdann ein Bewußtsein von unsrer Jchheit, wenn wir die Vorstellungen, welche in uns entstehn, wahrnehmen, und von ihnen einen Ruͤckblick auf die Quelle derselben, auf das Wesen, welches sie erzeugt, werfen. Die aͤußern sinnlichen Vorstellungen sind es gar nicht, welche uns unmittelbar auf das Wesen, welches sie aufnimmt, leiten. Die Erfahrung bestaͤtigt diese Behauptung. Der gemeine Mann ist mehrentheils ein grober Realist; er kann sich davon keinen Begrif machen, *) Jch glaube schwerlich; die Wahrnehmung des Jchs kann nur durch eine Vorstellung, d.h. eine Beziehung eines Merkmals auf sein Objekt erhalten werden, indem man dadurch zum Bewußtsein der Persoͤnlichkeit, oder Einheit des Subjekts zu verschiedenen Zeiten (zur Zeit der Bildung der zusammengesetzten Vorstellung des Objekts, und der einfachen Vorstellung als ihres Merkmals) gelangt. S. M.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/22
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0902_1792/22>, abgerufen am 21.11.2024.