Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 2. Berlin, 1792.
Man muß gestehen, daß diese Methoden beide etwas Reelles zum Grunde haben. Jener liegt offenbar der Stoizismus zum Grunde, nehmlich ein Streben die Handlungen nach einem höheren Prinzip, als die Neigungen sind, dem freien Willen gemäß, zu bestimmen; diese gründet sich auf das Vollkommenheitssystem. Nur daß beide, so wie alles in der Welt, gemißbraucht werden können, und wirklich gemißbraucht werden. Die von der ersten Sekte treiben ihre Bußfertigkeit bis zur Ausschweifung; anstatt ihre Begierden und Leidenschaften blos regelmäßig einzurichten, suchen sie dieselben zu zernichten, und anstatt daß sie mit den Stoikern das Prinzip ihrer Handlungen in der reinen Vernunft suchen sollten, suchen sie es vielmehr in der Religion, einer, ihrer Meinung nach, zwar reinen Quelle, daraus sie aber in der That, da sie von der Religion selbst falsche Begriffe haben, und ihre Tugend blos die zukünftigen Belohnungen und Bestrafungen eines nach bloßer Willkür regie-
Man muß gestehen, daß diese Methoden beide etwas Reelles zum Grunde haben. Jener liegt offenbar der Stoizismus zum Grunde, nehmlich ein Streben die Handlungen nach einem hoͤheren Prinzip, als die Neigungen sind, dem freien Willen gemaͤß, zu bestimmen; diese gruͤndet sich auf das Vollkommenheitssystem. Nur daß beide, so wie alles in der Welt, gemißbraucht werden koͤnnen, und wirklich gemißbraucht werden. Die von der ersten Sekte treiben ihre Bußfertigkeit bis zur Ausschweifung; anstatt ihre Begierden und Leidenschaften blos regelmaͤßig einzurichten, suchen sie dieselben zu zernichten, und anstatt daß sie mit den Stoikern das Prinzip ihrer Handlungen in der reinen Vernunft suchen sollten, suchen sie es vielmehr in der Religion, einer, ihrer Meinung nach, zwar reinen Quelle, daraus sie aber in der That, da sie von der Religion selbst falsche Begriffe haben, und ihre Tugend blos die zukuͤnftigen Belohnungen und Bestrafungen eines nach bloßer Willkuͤr regie- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><hi rendition="#b"><pb facs="#f0061" n="61"/><lb/> Unterdruͤckung ihrer natuͤrlichen Gefuͤhle,</hi> und <hi rendition="#b">Toͤdtung ihrer Kraͤfte</hi> zubrachten, glaubten diese weit zweckmaͤßiger zu handeln, wenn sie <hi rendition="#b">ihre natuͤrlichen Gefuͤhle so viel als moͤglich zu entwickeln, ihre Kraͤfte in Ausuͤbung zu bringen, und ihren Wuͤrkungskreis bestaͤndig zu erweitern suchten.</hi> —</p> <p>Man muß gestehen, daß diese Methoden beide <hi rendition="#b">etwas Reelles zum Grunde haben.</hi> Jener liegt offenbar der <hi rendition="#b">Stoizismus</hi> zum Grunde, nehmlich ein Streben <hi rendition="#b">die Handlungen nach einem hoͤheren Prinzip, als die Neigungen sind, dem freien Willen gemaͤß, zu bestimmen;</hi> diese gruͤndet sich auf das <hi rendition="#b">Vollkommenheitssystem.</hi> Nur daß beide, so wie alles in der Welt, gemißbraucht werden koͤnnen, und wirklich gemißbraucht werden. Die von der ersten Sekte treiben ihre Bußfertigkeit bis zur Ausschweifung; anstatt ihre Begierden und Leidenschaften blos <hi rendition="#b">regelmaͤßig einzurichten,</hi> suchen sie dieselben zu <hi rendition="#b">zernichten,</hi> und anstatt daß sie mit den Stoikern das Prinzip ihrer Handlungen in der <hi rendition="#b">reinen Vernunft</hi> suchen sollten, suchen sie es vielmehr in der <hi rendition="#b">Religion,</hi> einer, ihrer Meinung nach, zwar reinen Quelle, daraus sie aber in der That, da sie von der Religion selbst falsche Begriffe haben, und ihre Tugend blos die zukuͤnftigen Belohnungen und Bestrafungen eines nach bloßer Willkuͤr regie-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [61/0061]
Unterdruͤckung ihrer natuͤrlichen Gefuͤhle, und Toͤdtung ihrer Kraͤfte zubrachten, glaubten diese weit zweckmaͤßiger zu handeln, wenn sie ihre natuͤrlichen Gefuͤhle so viel als moͤglich zu entwickeln, ihre Kraͤfte in Ausuͤbung zu bringen, und ihren Wuͤrkungskreis bestaͤndig zu erweitern suchten. —
Man muß gestehen, daß diese Methoden beide etwas Reelles zum Grunde haben. Jener liegt offenbar der Stoizismus zum Grunde, nehmlich ein Streben die Handlungen nach einem hoͤheren Prinzip, als die Neigungen sind, dem freien Willen gemaͤß, zu bestimmen; diese gruͤndet sich auf das Vollkommenheitssystem. Nur daß beide, so wie alles in der Welt, gemißbraucht werden koͤnnen, und wirklich gemißbraucht werden. Die von der ersten Sekte treiben ihre Bußfertigkeit bis zur Ausschweifung; anstatt ihre Begierden und Leidenschaften blos regelmaͤßig einzurichten, suchen sie dieselben zu zernichten, und anstatt daß sie mit den Stoikern das Prinzip ihrer Handlungen in der reinen Vernunft suchen sollten, suchen sie es vielmehr in der Religion, einer, ihrer Meinung nach, zwar reinen Quelle, daraus sie aber in der That, da sie von der Religion selbst falsche Begriffe haben, und ihre Tugend blos die zukuͤnftigen Belohnungen und Bestrafungen eines nach bloßer Willkuͤr regie-
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