Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


in den schon verflossenen Tagen, daß er, wenn er meinem Spiegel sich näherte, mit seinem Blick darin verweilte. Dies und weil er sich auf meine Aufforderung zum Niedersetzen sich dazu nicht bequemen wollte, weil er nur meine Stube unrein machen würde, führte mich auf den Gedanken, daß in ihm ein gewisses Ehrgefühl verborgen liegen könnte, und daß, wenn ich es rege machte, dadurch viel gewinnen könnte. Jch stimmte darauf diese Saite bei ihm an, wiederholte öfters, wenn er meine an ihn gerichtete Forderungen nicht zu achten schien, und Fuß und Hände in der einmal angenommenen Richtung behielt, die Worte: Carl, schäme dich, wie du da stehst, bist ein so großer hübscher Mensch, und beträgst dich wie ein Kind. Diese Worte schienen auf ihn merklich zu wirken, und durch aushaltendes Bemühn und Reizung seines in ihm liegenden Ehrgefühls, erlangte ich es, daß er mit festem Tritte ging, und seine Hände weniger steif in natürlicher Richtung hielt. Ohne gegenwärtig auch nur entfernt von Sachen der Religion zu sprechen, fuhr ich vielmehr fort, ihn als Kind zu behandeln, und mit sinnlichen, vielleicht ihm angenehmen Dingen zur allmäligen Entwickelung seiner vorräthigen, allein gleichsam geschwächten Jdeen, und zur Unterredung zu locken. Jch gab ihm hierauf einen Apfel, und bei Gewahrnehmung, daß er bedenken trug, ihn anzunehmen, fragte ich ihn, ob er den dargereichten Apfel nicht


in den schon verflossenen Tagen, daß er, wenn er meinem Spiegel sich naͤherte, mit seinem Blick darin verweilte. Dies und weil er sich auf meine Aufforderung zum Niedersetzen sich dazu nicht bequemen wollte, weil er nur meine Stube unrein machen wuͤrde, fuͤhrte mich auf den Gedanken, daß in ihm ein gewisses Ehrgefuͤhl verborgen liegen koͤnnte, und daß, wenn ich es rege machte, dadurch viel gewinnen koͤnnte. Jch stimmte darauf diese Saite bei ihm an, wiederholte oͤfters, wenn er meine an ihn gerichtete Forderungen nicht zu achten schien, und Fuß und Haͤnde in der einmal angenommenen Richtung behielt, die Worte: Carl, schaͤme dich, wie du da stehst, bist ein so großer huͤbscher Mensch, und betraͤgst dich wie ein Kind. Diese Worte schienen auf ihn merklich zu wirken, und durch aushaltendes Bemuͤhn und Reizung seines in ihm liegenden Ehrgefuͤhls, erlangte ich es, daß er mit festem Tritte ging, und seine Haͤnde weniger steif in natuͤrlicher Richtung hielt. Ohne gegenwaͤrtig auch nur entfernt von Sachen der Religion zu sprechen, fuhr ich vielmehr fort, ihn als Kind zu behandeln, und mit sinnlichen, vielleicht ihm angenehmen Dingen zur allmaͤligen Entwickelung seiner vorraͤthigen, allein gleichsam geschwaͤchten Jdeen, und zur Unterredung zu locken. Jch gab ihm hierauf einen Apfel, und bei Gewahrnehmung, daß er bedenken trug, ihn anzunehmen, fragte ich ihn, ob er den dargereichten Apfel nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0117" n="117"/><lb/>
in den schon verflossenen Tagen, daß er, wenn er meinem                         Spiegel sich na&#x0364;herte, mit seinem Blick darin verweilte. Dies und weil er                         sich auf meine Aufforderung zum Niedersetzen sich dazu nicht bequemen                         wollte, weil er nur meine Stube unrein machen wu&#x0364;rde, fu&#x0364;hrte mich auf den                         Gedanken, daß in ihm ein gewisses Ehrgefu&#x0364;hl verborgen liegen ko&#x0364;nnte, und                         daß, wenn ich es rege machte, dadurch viel gewinnen ko&#x0364;nnte. Jch stimmte                         darauf diese <choice><corr>Saite</corr><sic>Seite</sic></choice> bei ihm an, wiederholte o&#x0364;fters, wenn er meine an ihn                         gerichtete Forderungen nicht zu achten schien, und Fuß und Ha&#x0364;nde in der                         einmal angenommenen Richtung behielt, die Worte: Carl, scha&#x0364;me dich, wie du                         da stehst, bist ein so großer hu&#x0364;bscher Mensch, und betra&#x0364;gst dich wie ein                         Kind. Diese Worte schienen auf ihn merklich zu wirken, und durch                         aushaltendes Bemu&#x0364;hn und Reizung seines in ihm liegenden Ehrgefu&#x0364;hls, erlangte                         ich es, daß er mit festem Tritte ging, und seine Ha&#x0364;nde weniger steif in                         natu&#x0364;rlicher Richtung hielt. Ohne gegenwa&#x0364;rtig auch nur entfernt von Sachen                         der Religion zu sprechen, fuhr ich vielmehr fort, ihn als Kind zu behandeln,                         und mit sinnlichen, vielleicht ihm angenehmen Dingen zur allma&#x0364;ligen                         Entwickelung seiner vorra&#x0364;thigen, allein gleichsam geschwa&#x0364;chten Jdeen, und                         zur Unterredung zu locken. Jch gab ihm hierauf einen Apfel, und bei                         Gewahrnehmung, daß er bedenken trug, ihn anzunehmen, fragte ich ihn, ob er                         den dargereichten Apfel nicht<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0117] in den schon verflossenen Tagen, daß er, wenn er meinem Spiegel sich naͤherte, mit seinem Blick darin verweilte. Dies und weil er sich auf meine Aufforderung zum Niedersetzen sich dazu nicht bequemen wollte, weil er nur meine Stube unrein machen wuͤrde, fuͤhrte mich auf den Gedanken, daß in ihm ein gewisses Ehrgefuͤhl verborgen liegen koͤnnte, und daß, wenn ich es rege machte, dadurch viel gewinnen koͤnnte. Jch stimmte darauf diese Saite bei ihm an, wiederholte oͤfters, wenn er meine an ihn gerichtete Forderungen nicht zu achten schien, und Fuß und Haͤnde in der einmal angenommenen Richtung behielt, die Worte: Carl, schaͤme dich, wie du da stehst, bist ein so großer huͤbscher Mensch, und betraͤgst dich wie ein Kind. Diese Worte schienen auf ihn merklich zu wirken, und durch aushaltendes Bemuͤhn und Reizung seines in ihm liegenden Ehrgefuͤhls, erlangte ich es, daß er mit festem Tritte ging, und seine Haͤnde weniger steif in natuͤrlicher Richtung hielt. Ohne gegenwaͤrtig auch nur entfernt von Sachen der Religion zu sprechen, fuhr ich vielmehr fort, ihn als Kind zu behandeln, und mit sinnlichen, vielleicht ihm angenehmen Dingen zur allmaͤligen Entwickelung seiner vorraͤthigen, allein gleichsam geschwaͤchten Jdeen, und zur Unterredung zu locken. Jch gab ihm hierauf einen Apfel, und bei Gewahrnehmung, daß er bedenken trug, ihn anzunehmen, fragte ich ihn, ob er den dargereichten Apfel nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/117
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/117>, abgerufen am 18.05.2024.