Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792.An einem Dienstage trat E. mit dem Manne, den seine Freunde in K. zu seiner Begleitung ihm mitgegeben hatten, in meine Stube. Es war der Mensch nicht mehr, den ich vormals gekannt hatte. Sein feiner, aber fester Körperbau war nun in eine dünne, weiche Gestalt verwandelt. Das lebhafte, sonst wilde, große blaue Auge blickte nun wild, aber matt umher; die Stirne voller Falten; das Gesicht voller Gruben: kein Blutstropfen auf demselben. Todtenbleiche überzog die Wange. Er sah mir starr ins Auge, drückte meine Hand, die ich ihm reichte, und drückte sie mit einer Rührung, die mir anzeigen sollte, daß er sich meiner noch ganz wohl erinnerte. Er sprach kein Wort. Endlich ließ er meine Hand fahren, ging die Stube mit starken Schritten auf und ab, stand plötzlich still und fragte, ohne sich eigentlich an mich zu wenden: wo werde ich logiren? Doch nicht hier? Hier sind keine Betten. Jch antwortete ihm, daß man für Wohnung und alles gesorgt hätte, was ihm noch nothwendig seyn könnte. "Was mir noch nothwendig seyn könnte? erwiederte er hastig. Ha! ich merke schon, man hat Jhnen auch geschrieben, daß ich krank sei; aber ich bin nicht krank. Sie dorten (seine Freunde in K. nehmlich) haben mich krank gemacht -- wollen mich krank machen, setzte er nach einer Weile in einem wehmüthigen Tone hinzu." An einem Dienstage trat E. mit dem Manne, den seine Freunde in K. zu seiner Begleitung ihm mitgegeben hatten, in meine Stube. Es war der Mensch nicht mehr, den ich vormals gekannt hatte. Sein feiner, aber fester Koͤrperbau war nun in eine duͤnne, weiche Gestalt verwandelt. Das lebhafte, sonst wilde, große blaue Auge blickte nun wild, aber matt umher; die Stirne voller Falten; das Gesicht voller Gruben: kein Blutstropfen auf demselben. Todtenbleiche uͤberzog die Wange. Er sah mir starr ins Auge, druͤckte meine Hand, die ich ihm reichte, und druͤckte sie mit einer Ruͤhrung, die mir anzeigen sollte, daß er sich meiner noch ganz wohl erinnerte. Er sprach kein Wort. Endlich ließ er meine Hand fahren, ging die Stube mit starken Schritten auf und ab, stand ploͤtzlich still und fragte, ohne sich eigentlich an mich zu wenden: wo werde ich logiren? Doch nicht hier? Hier sind keine Betten. Jch antwortete ihm, daß man fuͤr Wohnung und alles gesorgt haͤtte, was ihm noch nothwendig seyn koͤnnte. »Was mir noch nothwendig seyn koͤnnte? erwiederte er hastig. Ha! ich merke schon, man hat Jhnen auch geschrieben, daß ich krank sei; aber ich bin nicht krank. Sie dorten (seine Freunde in K. nehmlich) haben mich krank gemacht — wollen mich krank machen, setzte er nach einer Weile in einem wehmuͤthigen Tone hinzu.« <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0073" n="73"/><lb/> <p>An einem Dienstage trat E. mit dem Manne, den seine Freunde in K. zu seiner Begleitung ihm mitgegeben hatten, in meine Stube. Es war der Mensch nicht mehr, den ich vormals gekannt hatte. Sein feiner, aber fester Koͤrperbau war nun in eine duͤnne, weiche Gestalt verwandelt. Das lebhafte, sonst wilde, große blaue Auge blickte nun wild, aber matt umher; die Stirne voller Falten; das Gesicht voller Gruben: kein Blutstropfen auf demselben. Todtenbleiche uͤberzog die Wange. Er sah mir starr ins Auge, druͤckte meine Hand, die ich ihm reichte, und druͤckte sie mit einer Ruͤhrung, die mir anzeigen sollte, daß er sich meiner noch ganz wohl erinnerte. Er sprach kein Wort. Endlich ließ er meine Hand fahren, ging die Stube mit starken Schritten auf und ab, stand ploͤtzlich still und fragte, ohne sich eigentlich an mich zu wenden: wo werde ich logiren? Doch nicht hier? Hier sind keine Betten. Jch antwortete ihm, daß man fuͤr Wohnung und alles gesorgt haͤtte, was ihm noch nothwendig seyn koͤnnte. </p> <p>»Was mir <hi rendition="#b">noch</hi> nothwendig seyn koͤnnte? erwiederte er hastig. Ha! ich merke schon, man hat Jhnen auch geschrieben, daß ich krank sei; aber ich bin nicht krank. Sie dorten (seine Freunde in K. nehmlich) haben mich krank gemacht — wollen mich krank machen, setzte er nach einer Weile in einem wehmuͤthigen Tone hinzu.« </p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [73/0073]
An einem Dienstage trat E. mit dem Manne, den seine Freunde in K. zu seiner Begleitung ihm mitgegeben hatten, in meine Stube. Es war der Mensch nicht mehr, den ich vormals gekannt hatte. Sein feiner, aber fester Koͤrperbau war nun in eine duͤnne, weiche Gestalt verwandelt. Das lebhafte, sonst wilde, große blaue Auge blickte nun wild, aber matt umher; die Stirne voller Falten; das Gesicht voller Gruben: kein Blutstropfen auf demselben. Todtenbleiche uͤberzog die Wange. Er sah mir starr ins Auge, druͤckte meine Hand, die ich ihm reichte, und druͤckte sie mit einer Ruͤhrung, die mir anzeigen sollte, daß er sich meiner noch ganz wohl erinnerte. Er sprach kein Wort. Endlich ließ er meine Hand fahren, ging die Stube mit starken Schritten auf und ab, stand ploͤtzlich still und fragte, ohne sich eigentlich an mich zu wenden: wo werde ich logiren? Doch nicht hier? Hier sind keine Betten. Jch antwortete ihm, daß man fuͤr Wohnung und alles gesorgt haͤtte, was ihm noch nothwendig seyn koͤnnte.
»Was mir noch nothwendig seyn koͤnnte? erwiederte er hastig. Ha! ich merke schon, man hat Jhnen auch geschrieben, daß ich krank sei; aber ich bin nicht krank. Sie dorten (seine Freunde in K. nehmlich) haben mich krank gemacht — wollen mich krank machen, setzte er nach einer Weile in einem wehmuͤthigen Tone hinzu.«
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 9, St. 3. Berlin, 1792, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0903_1792/73>, abgerufen am 16.02.2025. |