Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

die Umwölbung leer war, spannte er sieben aus
Sehnen geflochtene miteinander tönende Saiten
darüber, und schlug sie mit dem klangentlockenden
Stäbchen, jeden einzelnen Ton versuchend, der tief
im Bauch der Wölbung wiederhallte.

Nun konnte er auch der Lust zu singen nicht
widerstehen, und besang, die Laute schlagend,
was nur sein Auge erblickte; die Dreifüße und
Gefäße in seiner Mutter Hause; aber er sang
auch schon mit höherm Schwunge, Jupiters Lie-
besbündniß mit der holden Maja, als seiner eige-
nen Gottheit Ursprung.

Als nun am Abend die Sonne sich in den
Ocean tauchte, war er schon auf den Piräischen
Gebirgen, wo die Heerden der unsterblichen Göt-
ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos
Rindern, und trieb sie mit manchem listigen
Kunstgriff über Berg und Thal, daß niemand die
Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht
ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben
mit den Rindern vor sich her bemerkt, und ihn
dem Apollo verrathen hätte.

Als er nun am Alpheusstrome zwei von den
Rindern geschlachtet, und sie sich selber geop-
fert hatte
, so löschte er wieder das Feuer aus,
verscharrte die Asche in den Sand, und warf die
Schuh von grünern Reisern, womit er die Fuß-
stapfen unkenntlich zu machen gesucht, in den

die Umwoͤlbung leer war, ſpannte er ſieben aus
Sehnen geflochtene miteinander toͤnende Saiten
daruͤber, und ſchlug ſie mit dem klangentlockenden
Staͤbchen, jeden einzelnen Ton verſuchend, der tief
im Bauch der Woͤlbung wiederhallte.

Nun konnte er auch der Luſt zu ſingen nicht
widerſtehen, und beſang, die Laute ſchlagend,
was nur ſein Auge erblickte; die Dreifuͤße und
Gefaͤße in ſeiner Mutter Hauſe; aber er ſang
auch ſchon mit hoͤherm Schwunge, Jupiters Lie-
besbuͤndniß mit der holden Maja, als ſeiner eige-
nen Gottheit Urſprung.

Als nun am Abend die Sonne ſich in den
Ocean tauchte, war er ſchon auf den Piraͤiſchen
Gebirgen, wo die Heerden der unſterblichen Goͤt-
ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos
Rindern, und trieb ſie mit manchem liſtigen
Kunſtgriff uͤber Berg und Thal, daß niemand die
Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht
ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben
mit den Rindern vor ſich her bemerkt, und ihn
dem Apollo verrathen haͤtte.

Als er nun am Alpheusſtrome zwei von den
Rindern geſchlachtet, und ſie ſich ſelber geop-
fert hatte
, ſo loͤſchte er wieder das Feuer aus,
verſcharrte die Aſche in den Sand, und warf die
Schuh von gruͤnern Reiſern, womit er die Fuß-
ſtapfen unkenntlich zu machen geſucht, in den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="159"/>
die Umwo&#x0364;lbung leer war, &#x017F;pannte er &#x017F;ieben aus<lb/>
Sehnen geflochtene miteinander to&#x0364;nende Saiten<lb/>
daru&#x0364;ber, und &#x017F;chlug &#x017F;ie mit dem klangentlockenden<lb/>
Sta&#x0364;bchen, jeden einzelnen Ton ver&#x017F;uchend, der tief<lb/>
im Bauch der Wo&#x0364;lbung wiederhallte.</p><lb/>
          <p>Nun konnte er auch der Lu&#x017F;t zu &#x017F;ingen nicht<lb/>
wider&#x017F;tehen, und be&#x017F;ang, die Laute &#x017F;chlagend,<lb/>
was nur &#x017F;ein Auge erblickte; die Dreifu&#x0364;ße und<lb/>
Gefa&#x0364;ße in &#x017F;einer Mutter Hau&#x017F;e; aber er &#x017F;ang<lb/>
auch &#x017F;chon mit ho&#x0364;herm Schwunge, Jupiters Lie-<lb/>
besbu&#x0364;ndniß mit der holden Maja, als &#x017F;einer eige-<lb/>
nen Gottheit Ur&#x017F;prung.</p><lb/>
          <p>Als nun am Abend die Sonne &#x017F;ich in den<lb/>
Ocean tauchte, war er &#x017F;chon auf den Pira&#x0364;i&#x017F;chen<lb/>
Gebirgen, wo die Heerden der un&#x017F;terblichen Go&#x0364;t-<lb/>
ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos<lb/>
Rindern, und trieb &#x017F;ie mit manchem li&#x017F;tigen<lb/>
Kun&#x017F;tgriff u&#x0364;ber Berg und Thal, daß niemand die<lb/>
Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht<lb/>
ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben<lb/>
mit den Rindern vor &#x017F;ich her bemerkt, und ihn<lb/>
dem Apollo verrathen ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Als er nun am Alpheus&#x017F;trome zwei von den<lb/>
Rindern ge&#x017F;chlachtet, <hi rendition="#fr">und &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;elber geop-<lb/>
fert hatte</hi>, &#x017F;o lo&#x0364;&#x017F;chte er wieder das Feuer aus,<lb/>
ver&#x017F;charrte die A&#x017F;che in den Sand, und warf die<lb/>
Schuh von gru&#x0364;nern Rei&#x017F;ern, womit er die Fuß-<lb/>
&#x017F;tapfen unkenntlich zu machen ge&#x017F;ucht, in den<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[159/0203] die Umwoͤlbung leer war, ſpannte er ſieben aus Sehnen geflochtene miteinander toͤnende Saiten daruͤber, und ſchlug ſie mit dem klangentlockenden Staͤbchen, jeden einzelnen Ton verſuchend, der tief im Bauch der Woͤlbung wiederhallte. Nun konnte er auch der Luſt zu ſingen nicht widerſtehen, und beſang, die Laute ſchlagend, was nur ſein Auge erblickte; die Dreifuͤße und Gefaͤße in ſeiner Mutter Hauſe; aber er ſang auch ſchon mit hoͤherm Schwunge, Jupiters Lie- besbuͤndniß mit der holden Maja, als ſeiner eige- nen Gottheit Urſprung. Als nun am Abend die Sonne ſich in den Ocean tauchte, war er ſchon auf den Piraͤiſchen Gebirgen, wo die Heerden der unſterblichen Goͤt- ter weiden. Funfzig entwandte er von Apollos Rindern, und trieb ſie mit manchem liſtigen Kunſtgriff uͤber Berg und Thal, daß niemand die Spur des Raubes entdecken konnte, wenn nicht ein Greis, der auf dem Felde grub, den Knaben mit den Rindern vor ſich her bemerkt, und ihn dem Apollo verrathen haͤtte. Als er nun am Alpheusſtrome zwei von den Rindern geſchlachtet, und ſie ſich ſelber geop- fert hatte, ſo loͤſchte er wieder das Feuer aus, verſcharrte die Aſche in den Sand, und warf die Schuh von gruͤnern Reiſern, womit er die Fuß- ſtapfen unkenntlich zu machen geſucht, in den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/203
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/203>, abgerufen am 21.11.2024.