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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Die Erzeugung der Götter.

Da wo das Auge der Phantasie nicht weiter
trägt ist Chaos, Nacht, und Finsterniß; und
doch trug die schöne Einbildungskraft der Griechen
auch in diese Nacht einen sanften Schimmer, der
selbst ihre Furchtbarkeit reitzend macht. -- Zuerst
ist das Chaos, dann die weite Erde, der finstere
Tartarus -- und Amor, der schönste unter den
unsterblichen Göttern.

Gleich im Anfange dieser Dichtungen vereini-
gen sich die entgegengesetzten Enden der Dinge;
an das Furchtbarste und Schrecklichste grenzt das
Liebenswürdigste. -- Das Gebildete und Schöne
entwickelt sich aus dem Unförmlichen und Unge-
bildeten. -- Das Licht steigt aus der Finsterniß
empor. -- Die Nacht vermählt sich mit dem Ere-
bus, dem alten Sitze der Finsterniß und gebiert
den Aether und den Tag. Die Nacht ist reich
an mannigfaltigen Geburten, denn sie hüllt alle
die Gestalten in sich ein, welche das Licht des
Tages vor unserm Blick entfaltet.

Die Erzeugung der Goͤtter.

Da wo das Auge der Phantaſie nicht weiter
traͤgt iſt Chaos, Nacht, und Finſterniß; und
doch trug die ſchoͤne Einbildungskraft der Griechen
auch in dieſe Nacht einen ſanften Schimmer, der
ſelbſt ihre Furchtbarkeit reitzend macht. — Zuerſt
iſt das Chaos, dann die weite Erde, der finſtere
Tartarus — und Amor, der ſchoͤnſte unter den
unſterblichen Goͤttern.

Gleich im Anfange dieſer Dichtungen vereini-
gen ſich die entgegengeſetzten Enden der Dinge;
an das Furchtbarſte und Schrecklichſte grenzt das
Liebenswuͤrdigſte. — Das Gebildete und Schoͤne
entwickelt ſich aus dem Unfoͤrmlichen und Unge-
bildeten. — Das Licht ſteigt aus der Finſterniß
empor. — Die Nacht vermaͤhlt ſich mit dem Ere-
bus, dem alten Sitze der Finſterniß und gebiert
den Aether und den Tag. Die Nacht iſt reich
an mannigfaltigen Geburten, denn ſie huͤllt alle
die Geſtalten in ſich ein, welche das Licht des
Tages vor unſerm Blick entfaltet.

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[13/0033] Die Erzeugung der Goͤtter. Da wo das Auge der Phantaſie nicht weiter traͤgt iſt Chaos, Nacht, und Finſterniß; und doch trug die ſchoͤne Einbildungskraft der Griechen auch in dieſe Nacht einen ſanften Schimmer, der ſelbſt ihre Furchtbarkeit reitzend macht. — Zuerſt iſt das Chaos, dann die weite Erde, der finſtere Tartarus — und Amor, der ſchoͤnſte unter den unſterblichen Goͤttern. Gleich im Anfange dieſer Dichtungen vereini- gen ſich die entgegengeſetzten Enden der Dinge; an das Furchtbarſte und Schrecklichſte grenzt das Liebenswuͤrdigſte. — Das Gebildete und Schoͤne entwickelt ſich aus dem Unfoͤrmlichen und Unge- bildeten. — Das Licht ſteigt aus der Finſterniß empor. — Die Nacht vermaͤhlt ſich mit dem Ere- bus, dem alten Sitze der Finſterniß und gebiert den Aether und den Tag. Die Nacht iſt reich an mannigfaltigen Geburten, denn ſie huͤllt alle die Geſtalten in ſich ein, welche das Licht des Tages vor unſerm Blick entfaltet.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/33>, abgerufen am 23.11.2024.