langt, wo unter ihm sich die glücklichen Zeiten bil- den, die nachher in den Liedern der Menschen als ein entflohenes Gut besungen, und vergeblich zu- rück gewünscht wurden.
So ist er auf einer alten Gemme, wovon hier der Umriß beigefügt ist, mit der Sense in der Hand, auf einem Schiffe, wovon nur der Schna- bel oder das Vordertheil sichtbar ist, abgebildet, neben dem Schiffe sieht man einen Theil einer Mauer und eines Gebäudes hervorragen, wahr- scheinlich weil an den Ufern der Tiber vom Sa- turnus, die alte Stadt Saturnia auf den nach- maligen Hügeln Roms erbauet wurde.
Auf die Weise ist nun Saturnus bald ein Bild der alleszerstörenden Zeit, bald ein König, der zu einer gewissen Zeit in Latium herrschte. Die Erzählungen von ihm sind weder bloße Alle- gorien, noch bloße Geschichte, sondern beides zu- sammengenommen, und nach den Gesetzen der Einbildungskraft verwebt. Dieß ist auch der Fall bei den Erzählungen von den übrigen Gott- heiten, die wir durchgängig als schöne Dichtun- gen nehmen, und durch zu bestimmte Ausdeu- tungen nicht verderben müssen. Denn da die ganze Religion der Alten eine Religion der Phan- tasie und nicht des Verstandes war, so ist auch ihre Götterlehre ein schöner Traum, der zwar
langt, wo unter ihm ſich die gluͤcklichen Zeiten bil- den, die nachher in den Liedern der Menſchen als ein entflohenes Gut beſungen, und vergeblich zu- ruͤck gewuͤnſcht wurden.
So iſt er auf einer alten Gemme, wovon hier der Umriß beigefuͤgt iſt, mit der Senſe in der Hand, auf einem Schiffe, wovon nur der Schna- bel oder das Vordertheil ſichtbar iſt, abgebildet, neben dem Schiffe ſieht man einen Theil einer Mauer und eines Gebaͤudes hervorragen, wahr- ſcheinlich weil an den Ufern der Tiber vom Sa- turnus, die alte Stadt Saturnia auf den nach- maligen Huͤgeln Roms erbauet wurde.
Auf die Weiſe iſt nun Saturnus bald ein Bild der alleszerſtoͤrenden Zeit, bald ein Koͤnig, der zu einer gewiſſen Zeit in Latium herrſchte. Die Erzaͤhlungen von ihm ſind weder bloße Alle- gorien, noch bloße Geſchichte, ſondern beides zu- ſammengenommen, und nach den Geſetzen der Einbildungskraft verwebt. Dieß iſt auch der Fall bei den Erzaͤhlungen von den uͤbrigen Gott- heiten, die wir durchgaͤngig als ſchoͤne Dichtun- gen nehmen, und durch zu beſtimmte Ausdeu- tungen nicht verderben muͤſſen. Denn da die ganze Religion der Alten eine Religion der Phan- taſie und nicht des Verſtandes war, ſo iſt auch ihre Goͤtterlehre ein ſchoͤner Traum, der zwar
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langt, wo unter ihm ſich die gluͤcklichen Zeiten bil-
den, die nachher in den Liedern der Menſchen als
ein entflohenes Gut beſungen, und vergeblich zu-
ruͤck gewuͤnſcht wurden.
So iſt er auf einer alten Gemme, wovon
hier der Umriß beigefuͤgt iſt, mit der Senſe in der
Hand, auf einem Schiffe, wovon nur der Schna-
bel oder das Vordertheil ſichtbar iſt, abgebildet,
neben dem Schiffe ſieht man einen Theil einer
Mauer und eines Gebaͤudes hervorragen, wahr-
ſcheinlich weil an den Ufern der Tiber vom Sa-
turnus, die alte Stadt Saturnia auf den nach-
maligen Huͤgeln Roms erbauet wurde.
Auf die Weiſe iſt nun Saturnus bald ein
Bild der alleszerſtoͤrenden Zeit, bald ein Koͤnig,
der zu einer gewiſſen Zeit in Latium herrſchte.
Die Erzaͤhlungen von ihm ſind weder bloße Alle-
gorien, noch bloße Geſchichte, ſondern beides zu-
ſammengenommen, und nach den Geſetzen der
Einbildungskraft verwebt. Dieß iſt auch der
Fall bei den Erzaͤhlungen von den uͤbrigen Gott-
heiten, die wir durchgaͤngig als ſchoͤne Dichtun-
gen nehmen, und durch zu beſtimmte Ausdeu-
tungen nicht verderben muͤſſen. Denn da die
ganze Religion der Alten eine Religion der Phan-
taſie und nicht des Verſtandes war, ſo iſt auch
ihre Goͤtterlehre ein ſchoͤner Traum, der zwar
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/46>, abgerufen am 21.11.2024.
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