Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

und seiner Rache keine Grenzen, sondern brach
auf, eroberte Delphi, und verbrannte den Tem-
pel des Apollo. Dafür schwebt nun in der Unter-
welt ein drohender Felsen ewig über seinem Haupte.
Die immerwährende Gefahr, die er im Treffen
aufsuchte, begleitete den wilden Krieger auch in den
Tartarus hinab, und ist ein furchtbares Bild von
dem Loose der Sterblichen, über deren Haupte be-
ständig das in Dunkel gehüllte Schicksal schwebt,
welches Verderben und Zerstörung drohet, indeß
das beklemmte Gemüth von Furcht und Zweifel
geängstigt wird.

Die Danaiden.

Der funfzig Töchter des Danaus, Königs
in Argos, ist schon gedacht, wie sie auf den Be-
fehl ihres Vaters, die Hypermnestra ausge-
nommen, alle in einer Nacht ihre Männer er-
mordeten. Auch diese mußten in der Unterwelt
durch zwecklose Mühe für ihr Verbrechen büßen.
Sie mußten in löchrichte Gefäße unaufhörlich Was-
ser schöpfen, und so in jedem Augenblick die
Frucht ihrer Arbeit zerrinnen sehn.

Sisyphus.

Sisyphus, welcher Korinth beherrschte, war
einer der thätigsten und weisesten Regenten seiner
Zeit, und dennoch ist seine Strafe in der Unter-

und ſeiner Rache keine Grenzen, ſondern brach
auf, eroberte Delphi, und verbrannte den Tem-
pel des Apollo. Dafuͤr ſchwebt nun in der Unter-
welt ein drohender Felſen ewig uͤber ſeinem Haupte.
Die immerwaͤhrende Gefahr, die er im Treffen
aufſuchte, begleitete den wilden Krieger auch in den
Tartarus hinab, und iſt ein furchtbares Bild von
dem Looſe der Sterblichen, uͤber deren Haupte be-
ſtaͤndig das in Dunkel gehuͤllte Schickſal ſchwebt,
welches Verderben und Zerſtoͤrung drohet, indeß
das beklemmte Gemuͤth von Furcht und Zweifel
geaͤngſtigt wird.

Die Danaiden.

Der funfzig Toͤchter des Danaus, Koͤnigs
in Argos, iſt ſchon gedacht, wie ſie auf den Be-
fehl ihres Vaters, die Hypermneſtra ausge-
nommen, alle in einer Nacht ihre Maͤnner er-
mordeten. Auch dieſe mußten in der Unterwelt
durch zweckloſe Muͤhe fuͤr ihr Verbrechen buͤßen.
Sie mußten in loͤchrichte Gefaͤße unaufhoͤrlich Waſ-
ſer ſchoͤpfen, und ſo in jedem Augenblick die
Frucht ihrer Arbeit zerrinnen ſehn.

Siſyphus.

Siſyphus, welcher Korinth beherrſchte, war
einer der thaͤtigſten und weiſeſten Regenten ſeiner
Zeit, und dennoch iſt ſeine Strafe in der Unter-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0472" n="396"/>
und &#x017F;einer Rache keine Grenzen, &#x017F;ondern brach<lb/>
auf, eroberte <hi rendition="#fr">Delphi,</hi> und verbrannte den Tem-<lb/>
pel des Apollo. Dafu&#x0364;r &#x017F;chwebt nun in der Unter-<lb/>
welt ein drohender Fel&#x017F;en ewig u&#x0364;ber &#x017F;einem Haupte.<lb/>
Die immerwa&#x0364;hrende Gefahr, die er im Treffen<lb/>
auf&#x017F;uchte, begleitete den wilden Krieger auch in den<lb/>
Tartarus hinab, und i&#x017F;t ein furchtbares Bild von<lb/>
dem Loo&#x017F;e der Sterblichen, u&#x0364;ber deren Haupte be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndig das in Dunkel gehu&#x0364;llte Schick&#x017F;al &#x017F;chwebt,<lb/>
welches Verderben und Zer&#x017F;to&#x0364;rung drohet, indeß<lb/>
das beklemmte Gemu&#x0364;th von Furcht und Zweifel<lb/>
gea&#x0364;ng&#x017F;tigt wird.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Danaiden</hi>.</hi> </head><lb/>
            <p>Der funfzig To&#x0364;chter des <hi rendition="#fr">Danaus,</hi> Ko&#x0364;nigs<lb/>
in <hi rendition="#fr">Argos,</hi> i&#x017F;t &#x017F;chon gedacht, wie &#x017F;ie auf den Be-<lb/>
fehl ihres Vaters, die <hi rendition="#fr">Hypermne&#x017F;tra</hi> ausge-<lb/>
nommen, alle in einer Nacht ihre Ma&#x0364;nner er-<lb/>
mordeten. Auch die&#x017F;e mußten in der Unterwelt<lb/>
durch <hi rendition="#fr">zwecklo&#x017F;e Mu&#x0364;he</hi> fu&#x0364;r ihr Verbrechen bu&#x0364;ßen.<lb/>
Sie mußten in lo&#x0364;chrichte Gefa&#x0364;ße unaufho&#x0364;rlich Wa&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er &#x017F;cho&#x0364;pfen, und &#x017F;o <hi rendition="#fr">in jedem Augenblick die<lb/>
Frucht ihrer Arbeit zerrinnen &#x017F;ehn.</hi></p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Si&#x017F;yphus</hi>.</hi> </head><lb/>
            <p><hi rendition="#fr">Si&#x017F;yphus,</hi> welcher Korinth beherr&#x017F;chte, war<lb/>
einer der <hi rendition="#fr">tha&#x0364;tig&#x017F;ten</hi> und wei&#x017F;e&#x017F;ten Regenten &#x017F;einer<lb/>
Zeit, und dennoch i&#x017F;t &#x017F;eine Strafe in der Unter-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0472] und ſeiner Rache keine Grenzen, ſondern brach auf, eroberte Delphi, und verbrannte den Tem- pel des Apollo. Dafuͤr ſchwebt nun in der Unter- welt ein drohender Felſen ewig uͤber ſeinem Haupte. Die immerwaͤhrende Gefahr, die er im Treffen aufſuchte, begleitete den wilden Krieger auch in den Tartarus hinab, und iſt ein furchtbares Bild von dem Looſe der Sterblichen, uͤber deren Haupte be- ſtaͤndig das in Dunkel gehuͤllte Schickſal ſchwebt, welches Verderben und Zerſtoͤrung drohet, indeß das beklemmte Gemuͤth von Furcht und Zweifel geaͤngſtigt wird. Die Danaiden. Der funfzig Toͤchter des Danaus, Koͤnigs in Argos, iſt ſchon gedacht, wie ſie auf den Be- fehl ihres Vaters, die Hypermneſtra ausge- nommen, alle in einer Nacht ihre Maͤnner er- mordeten. Auch dieſe mußten in der Unterwelt durch zweckloſe Muͤhe fuͤr ihr Verbrechen buͤßen. Sie mußten in loͤchrichte Gefaͤße unaufhoͤrlich Waſ- ſer ſchoͤpfen, und ſo in jedem Augenblick die Frucht ihrer Arbeit zerrinnen ſehn. Siſyphus. Siſyphus, welcher Korinth beherrſchte, war einer der thaͤtigſten und weiſeſten Regenten ſeiner Zeit, und dennoch iſt ſeine Strafe in der Unter-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/472
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/472>, abgerufen am 21.11.2024.