noch zu ihren Schwestern sich zurück, welche, auf ihren Wunsch vom Zephir hergetragen, in ihrem Aufenthalt sie besuchten, und ihr Glück beneidend, sie auf den Argwohn brachten, ihr unsichtbarer Liebhaber sey ein furchtbares Ungeheuer, von dem sie sich befreien, und es mit scharfem Eisen im Schlafe tödten müsse. -- Die Schwestern wurden vom Zephir wieder hinweggetragen, und Psyche befolgte thöricht ihren Rath. -- Kaum war es Nacht und Amor eingeschlummert, so trat sie mit einer Lampe und mit dem gezückten Dolche vor ihm hin, als sie statt eines Ungeheuers, den schönsten unter den unsterblichen Göttern, den himmlischen Amor selbst erblickte. Zit- ternd hielt sie die Lampe in der Hand, aus der ein Tropfen heißes Oehl auf Amors Schul- ter fiel, worüber er erwachte, und da er Psy- chen und das tödtliche Werkzeug sahe, zürnend sie verließ.
Voll Verzweiflung, Amors Liebe verscherzt zu haben, suchte Psyche ihr Daseyn zu vernich- ten, und stürzte sich in den nächsten Fluß; allein die Wellen trugen sie an das jenseitige Ufer sanft hinüber, wo Pan, der Gott der Heerden, ihr den Trost gab, daß sie hoffen dürfe, für ihr Vergehen noch einst Verzeihung zu erhalten. -- Die Schwestern der Psyche aber, welche die Folgen ihres Raths wohl vermutheten,
noch zu ihren Schweſtern ſich zuruͤck, welche, auf ihren Wunſch vom Zephir hergetragen, in ihrem Aufenthalt ſie beſuchten, und ihr Gluͤck beneidend, ſie auf den Argwohn brachten, ihr unſichtbarer Liebhaber ſey ein furchtbares Ungeheuer, von dem ſie ſich befreien, und es mit ſcharfem Eiſen im Schlafe toͤdten muͤſſe. — Die Schweſtern wurden vom Zephir wieder hinweggetragen, und Pſyche befolgte thoͤricht ihren Rath. — Kaum war es Nacht und Amor eingeſchlummert, ſo trat ſie mit einer Lampe und mit dem gezuͤckten Dolche vor ihm hin, als ſie ſtatt eines Ungeheuers, den ſchoͤnſten unter den unſterblichen Goͤttern, den himmliſchen Amor ſelbſt erblickte. Zit- ternd hielt ſie die Lampe in der Hand, aus der ein Tropfen heißes Oehl auf Amors Schul- ter fiel, woruͤber er erwachte, und da er Pſy- chen und das toͤdtliche Werkzeug ſahe, zuͤrnend ſie verließ.
Voll Verzweiflung, Amors Liebe verſcherzt zu haben, ſuchte Pſyche ihr Daſeyn zu vernich- ten, und ſtuͤrzte ſich in den naͤchſten Fluß; allein die Wellen trugen ſie an das jenſeitige Ufer ſanft hinuͤber, wo Pan, der Gott der Heerden, ihr den Troſt gab, daß ſie hoffen duͤrfe, fuͤr ihr Vergehen noch einſt Verzeihung zu erhalten. — Die Schweſtern der Pſyche aber, welche die Folgen ihres Raths wohl vermutheten,
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noch zu ihren Schweſtern ſich zuruͤck, welche, auf
ihren Wunſch vom Zephir hergetragen, in ihrem
Aufenthalt ſie beſuchten, und ihr Gluͤck beneidend,
ſie auf den Argwohn brachten, ihr unſichtbarer
Liebhaber ſey ein furchtbares Ungeheuer, von dem
ſie ſich befreien, und es mit ſcharfem Eiſen im
Schlafe toͤdten muͤſſe. — Die Schweſtern wurden
vom Zephir wieder hinweggetragen, und Pſyche
befolgte thoͤricht ihren Rath. — Kaum war es
Nacht und Amor eingeſchlummert, ſo trat ſie
mit einer Lampe und mit dem gezuͤckten Dolche
vor ihm hin, als ſie ſtatt eines Ungeheuers,
den ſchoͤnſten unter den unſterblichen Goͤttern,
den himmliſchen Amor ſelbſt erblickte. Zit-
ternd hielt ſie die Lampe in der Hand, aus
der ein Tropfen heißes Oehl auf Amors Schul-
ter fiel, woruͤber er erwachte, und da er Pſy-
chen und das toͤdtliche Werkzeug ſahe, zuͤrnend
ſie verließ.
Voll Verzweiflung, Amors Liebe verſcherzt
zu haben, ſuchte Pſyche ihr Daſeyn zu vernich-
ten, und ſtuͤrzte ſich in den naͤchſten Fluß;
allein die Wellen trugen ſie an das jenſeitige
Ufer ſanft hinuͤber, wo Pan, der Gott der
Heerden, ihr den Troſt gab, daß ſie hoffen
duͤrfe, fuͤr ihr Vergehen noch einſt Verzeihung zu
erhalten. — Die Schweſtern der Pſyche aber,
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/477>, abgerufen am 24.11.2024.
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