Die Scheidung zwischen den alten und neuen Göttern giebt den mythologischen Dichtungen ei- nen vorzüglichen Reitz. Die alten Gottheiten sind, wie wir schon bemerkt haben, gleichsam in Nebel zurück getreten, woraus sie nur noch schwach hervorschimmern, indeß die neuen Götter in dem Gebiete der Phantasie ihren Platz behaupten, und durch die bildende Kunst bestimmte Formen erhal- ten, in welche sich die verkörperte Macht und Ho- heit kleidet, und ein Gegenstand der Verehrung der Sterblichen in Tempeln und heiligen Hainen wird.
Durch die alten Gottheiten aber sind die neuen gleichsam vorgebildet. -- Das Erhabene und Göttliche, was immer schon da war, lätzt die Phantasie in erneuerter und jugendlicher Gestalt, von unsterblichen oder von sterblichen Müttern, wieder gebohren werden, und giebt ihm Geschlechtsfolge, Nahmen und Geburtsort, um es näher mit den Begriffen der Sterblichen zu vereinen, und mit ihren Schicksalen zu ver- weben.
Die alten Goͤtter.
Die Scheidung zwiſchen den alten und neuen Goͤttern giebt den mythologiſchen Dichtungen ei- nen vorzuͤglichen Reitz. Die alten Gottheiten ſind, wie wir ſchon bemerkt haben, gleichſam in Nebel zuruͤck getreten, woraus ſie nur noch ſchwach hervorſchimmern, indeß die neuen Goͤtter in dem Gebiete der Phantaſie ihren Platz behaupten, und durch die bildende Kunſt beſtimmte Formen erhal- ten, in welche ſich die verkoͤrperte Macht und Ho- heit kleidet, und ein Gegenſtand der Verehrung der Sterblichen in Tempeln und heiligen Hainen wird.
Durch die alten Gottheiten aber ſind die neuen gleichſam vorgebildet. — Das Erhabene und Goͤttliche, was immer ſchon da war, laͤtzt die Phantaſie in erneuerter und jugendlicher Geſtalt, von unſterblichen oder von ſterblichen Muͤttern, wieder gebohren werden, und giebt ihm Geſchlechtsfolge, Nahmen und Geburtsort, um es naͤher mit den Begriffen der Sterblichen zu vereinen, und mit ihren Schickſalen zu ver- weben.
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Die alten Goͤtter.
Die Scheidung zwiſchen den alten und neuen
Goͤttern giebt den mythologiſchen Dichtungen ei-
nen vorzuͤglichen Reitz. Die alten Gottheiten
ſind, wie wir ſchon bemerkt haben, gleichſam in
Nebel zuruͤck getreten, woraus ſie nur noch ſchwach
hervorſchimmern, indeß die neuen Goͤtter in dem
Gebiete der Phantaſie ihren Platz behaupten, und
durch die bildende Kunſt beſtimmte Formen erhal-
ten, in welche ſich die verkoͤrperte Macht und Ho-
heit kleidet, und ein Gegenſtand der Verehrung
der Sterblichen in Tempeln und heiligen Hainen
wird.
Durch die alten Gottheiten aber ſind die
neuen gleichſam vorgebildet. — Das Erhabene
und Goͤttliche, was immer ſchon da war,
laͤtzt die Phantaſie in erneuerter und jugendlicher
Geſtalt, von unſterblichen oder von ſterblichen
Muͤttern, wieder gebohren werden, und giebt
ihm Geſchlechtsfolge, Nahmen und Geburtsort,
um es naͤher mit den Begriffen der Sterblichen
zu vereinen, und mit ihren Schickſalen zu ver-
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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/79>, abgerufen am 21.11.2024.
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