Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Selbst die Chorschüler schienen ihm Wesen
aus einer höhern Sphäre zu seyn; und wenn er
sie auf der Straße singen hörte, konnte er sich
nicht enthalten, ihnen nachzugehen, sich an
ihrem Anblick zu ergötzen, und ihr glänzendes
Schicksal zu beneiden.

Wenn er mit seinem Mitlehrburschen in der
Werkstatt alleine war, suchte er ihm alle die klei¬
nen Kenntnisse mitzutheilen, welche er sich theils
durch eignes Lesen, und theils durch den Unter¬
richt, den er genossen, erworben hatte.

Er erzählte ihm vom Jupiter und der Juno,
und suchte ihm den Unterschied zwischen Adjek¬
tivum und Substantivum deutlich zu machen,
um ihn zu lehren, wo er einen großen Buchsta¬
ben, oder einen kleinen setzen müsse.

Dieser hörte ihm denn aufmerksam zu, und
zwischen ihnen wurden oft moralische und reli¬
giöse Gegenstände abgehandelt. Antons Mit¬
lehrbursche war bei diesen Gelegenheiten vorzüg¬
lich stark in Erfindung neuer Wörter, wodurch
er seine Begriffe bezeichnete. So nannte er
z. B. die Befolgung der göttlichen Befehle, die
Erfülligkeit Gottes -- Und indem er vorzüglich

Selbſt die Chorſchuͤler ſchienen ihm Weſen
aus einer hoͤhern Sphaͤre zu ſeyn; und wenn er
ſie auf der Straße ſingen hoͤrte, konnte er ſich
nicht enthalten, ihnen nachzugehen, ſich an
ihrem Anblick zu ergoͤtzen, und ihr glaͤnzendes
Schickſal zu beneiden.

Wenn er mit ſeinem Mitlehrburſchen in der
Werkſtatt alleine war, ſuchte er ihm alle die klei¬
nen Kenntniſſe mitzutheilen, welche er ſich theils
durch eignes Leſen, und theils durch den Unter¬
richt, den er genoſſen, erworben hatte.

Er erzaͤhlte ihm vom Jupiter und der Juno,
und ſuchte ihm den Unterſchied zwiſchen Adjek¬
tivum und Subſtantivum deutlich zu machen,
um ihn zu lehren, wo er einen großen Buchſta¬
ben, oder einen kleinen ſetzen muͤſſe.

Dieſer hoͤrte ihm denn aufmerkſam zu, und
zwiſchen ihnen wurden oft moraliſche und reli¬
gioͤſe Gegenſtaͤnde abgehandelt. Antons Mit¬
lehrburſche war bei dieſen Gelegenheiten vorzuͤg¬
lich ſtark in Erfindung neuer Woͤrter, wodurch
er ſeine Begriffe bezeichnete. So nannte er
z. B. die Befolgung der goͤttlichen Befehle, die
Erfuͤlligkeit Gottes — Und indem er vorzuͤglich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0100" n="90"/>
      <p>Selb&#x017F;t die Chor&#x017F;chu&#x0364;ler &#x017F;chienen ihm We&#x017F;en<lb/>
aus einer ho&#x0364;hern Spha&#x0364;re zu &#x017F;eyn; und wenn er<lb/>
&#x017F;ie auf der Straße &#x017F;ingen ho&#x0364;rte, konnte er &#x017F;ich<lb/>
nicht enthalten, ihnen nachzugehen, &#x017F;ich an<lb/>
ihrem Anblick zu ergo&#x0364;tzen, und ihr gla&#x0364;nzendes<lb/>
Schick&#x017F;al zu beneiden.</p><lb/>
      <p>Wenn er mit &#x017F;einem Mitlehrbur&#x017F;chen in der<lb/>
Werk&#x017F;tatt alleine war, &#x017F;uchte er ihm alle die klei¬<lb/>
nen Kenntni&#x017F;&#x017F;e mitzutheilen, welche er &#x017F;ich theils<lb/>
durch eignes Le&#x017F;en, und theils durch den Unter¬<lb/>
richt, den er geno&#x017F;&#x017F;en, erworben hatte.</p><lb/>
      <p>Er erza&#x0364;hlte ihm vom Jupiter und der Juno,<lb/>
und &#x017F;uchte ihm den Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen Adjek¬<lb/>
tivum und Sub&#x017F;tantivum deutlich zu machen,<lb/>
um ihn zu lehren, wo er einen großen Buch&#x017F;ta¬<lb/>
ben, oder einen kleinen &#x017F;etzen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
      <p>Die&#x017F;er ho&#x0364;rte ihm denn aufmerk&#x017F;am zu, und<lb/>
zwi&#x017F;chen ihnen wurden oft morali&#x017F;che und reli¬<lb/>
gio&#x0364;&#x017F;e Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde abgehandelt. Antons Mit¬<lb/>
lehrbur&#x017F;che war bei die&#x017F;en Gelegenheiten vorzu&#x0364;<lb/>
lich &#x017F;tark in Erfindung neuer Wo&#x0364;rter, wodurch<lb/>
er &#x017F;eine Begriffe bezeichnete. So nannte er<lb/>
z. B. die Befolgung der go&#x0364;ttlichen Befehle, die<lb/><hi rendition="#fr">Erfu&#x0364;lligkeit Gottes</hi> &#x2014; Und indem er vorzu&#x0364;glich<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0100] Selbſt die Chorſchuͤler ſchienen ihm Weſen aus einer hoͤhern Sphaͤre zu ſeyn; und wenn er ſie auf der Straße ſingen hoͤrte, konnte er ſich nicht enthalten, ihnen nachzugehen, ſich an ihrem Anblick zu ergoͤtzen, und ihr glaͤnzendes Schickſal zu beneiden. Wenn er mit ſeinem Mitlehrburſchen in der Werkſtatt alleine war, ſuchte er ihm alle die klei¬ nen Kenntniſſe mitzutheilen, welche er ſich theils durch eignes Leſen, und theils durch den Unter¬ richt, den er genoſſen, erworben hatte. Er erzaͤhlte ihm vom Jupiter und der Juno, und ſuchte ihm den Unterſchied zwiſchen Adjek¬ tivum und Subſtantivum deutlich zu machen, um ihn zu lehren, wo er einen großen Buchſta¬ ben, oder einen kleinen ſetzen muͤſſe. Dieſer hoͤrte ihm denn aufmerkſam zu, und zwiſchen ihnen wurden oft moraliſche und reli¬ gioͤſe Gegenſtaͤnde abgehandelt. Antons Mit¬ lehrburſche war bei dieſen Gelegenheiten vorzuͤg¬ lich ſtark in Erfindung neuer Woͤrter, wodurch er ſeine Begriffe bezeichnete. So nannte er z. B. die Befolgung der goͤttlichen Befehle, die Erfuͤlligkeit Gottes — Und indem er vorzuͤglich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/100
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/100>, abgerufen am 04.12.2024.