Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

von Gefallen zu finden, der ihn nichts eifriger
wünschen ließ, als dieselben einmal mitmachen
zu können. -- Er freute sich innerlich, so oft er
den Gruß eines einwandernden Gesellen hörte,
der das gewöhnliche Geschenk zu fordern kam;
und keine größere Glückseligkeit konnte er sich
denken, als wenn er auch einmal als Geselle so
einwandern, und dann, nach Handwerksge¬
brauch, den Gruß mit den vorgeschriebnen Wor¬
ten hersagen würde. --

So hängt das jugendliche Gemüth immer
mehr an den Zeichen, als an der Sache, und
es läßt sich von den frühen Aeußerungen bei
Kindern, in Ansehung der Wahl ihres künfti¬
gen Berufes, wenig oder gar nichts schließen. --
Sobald Anton lesen gelernt hatte, fand er ein
unbeschreibliches Vergnügen darin, in die Kirche
zu gehen: seine Mutter und seine Base konn¬
ten sich nicht gnug darüber freuen. Was ihn
aber in die Kirche trieb, war der Triumph, den
er allemal genoß, wenn er nach dem schwarzen
Brette, wo die Nummern der Gesänge ange¬
schrieben waren, hinsehen, und etwa einen er¬
wachsenen Menschen, der neben ihm stand, sagen

von Gefallen zu finden, der ihn nichts eifriger
wuͤnſchen ließ, als dieſelben einmal mitmachen
zu koͤnnen. — Er freute ſich innerlich, ſo oft er
den Gruß eines einwandernden Geſellen hoͤrte,
der das gewoͤhnliche Geſchenk zu fordern kam;
und keine groͤßere Gluͤckſeligkeit konnte er ſich
denken, als wenn er auch einmal als Geſelle ſo
einwandern, und dann, nach Handwerksge¬
brauch, den Gruß mit den vorgeſchriebnen Wor¬
ten herſagen wuͤrde. —

So haͤngt das jugendliche Gemuͤth immer
mehr an den Zeichen, als an der Sache, und
es laͤßt ſich von den fruͤhen Aeußerungen bei
Kindern, in Anſehung der Wahl ihres kuͤnfti¬
gen Berufes, wenig oder gar nichts ſchließen. —
Sobald Anton leſen gelernt hatte, fand er ein
unbeſchreibliches Vergnuͤgen darin, in die Kirche
zu gehen: ſeine Mutter und ſeine Baſe konn¬
ten ſich nicht gnug daruͤber freuen. Was ihn
aber in die Kirche trieb, war der Triumph, den
er allemal genoß, wenn er nach dem ſchwarzen
Brette, wo die Nummern der Geſaͤnge ange¬
ſchrieben waren, hinſehen, und etwa einen er¬
wachſenen Menſchen, der neben ihm ſtand, ſagen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0108" n="98"/>
von Gefallen zu finden, der ihn nichts eifriger<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen ließ, als die&#x017F;elben einmal mitmachen<lb/>
zu ko&#x0364;nnen. &#x2014; Er freute &#x017F;ich innerlich, &#x017F;o oft er<lb/>
den Gruß eines einwandernden Ge&#x017F;ellen ho&#x0364;rte,<lb/>
der das gewo&#x0364;hnliche Ge&#x017F;chenk zu fordern kam;<lb/>
und keine gro&#x0364;ßere Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit konnte er &#x017F;ich<lb/>
denken, als wenn er auch einmal als Ge&#x017F;elle &#x017F;o<lb/>
einwandern, und dann, nach Handwerksge¬<lb/>
brauch, den Gruß mit den vorge&#x017F;chriebnen Wor¬<lb/>
ten her&#x017F;agen wu&#x0364;rde. &#x2014;</p><lb/>
      <p>So ha&#x0364;ngt das jugendliche Gemu&#x0364;th immer<lb/>
mehr an den Zeichen, als an der Sache, und<lb/>
es la&#x0364;ßt &#x017F;ich von den fru&#x0364;hen Aeußerungen bei<lb/>
Kindern, in An&#x017F;ehung der Wahl ihres ku&#x0364;nfti¬<lb/>
gen Berufes, wenig oder gar nichts &#x017F;chließen. &#x2014;<lb/>
Sobald Anton le&#x017F;en gelernt hatte, fand er ein<lb/>
unbe&#x017F;chreibliches Vergnu&#x0364;gen darin, in die Kirche<lb/>
zu gehen: &#x017F;eine Mutter und &#x017F;eine Ba&#x017F;e konn¬<lb/>
ten &#x017F;ich nicht gnug daru&#x0364;ber freuen. Was ihn<lb/>
aber in die Kirche trieb, war der Triumph, den<lb/>
er allemal genoß, wenn er nach dem &#x017F;chwarzen<lb/>
Brette, wo die Nummern der Ge&#x017F;a&#x0364;nge ange¬<lb/>
&#x017F;chrieben waren, hin&#x017F;ehen, und etwa einen er¬<lb/>
wach&#x017F;enen Men&#x017F;chen, der neben ihm &#x017F;tand, &#x017F;agen<lb/></p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0108] von Gefallen zu finden, der ihn nichts eifriger wuͤnſchen ließ, als dieſelben einmal mitmachen zu koͤnnen. — Er freute ſich innerlich, ſo oft er den Gruß eines einwandernden Geſellen hoͤrte, der das gewoͤhnliche Geſchenk zu fordern kam; und keine groͤßere Gluͤckſeligkeit konnte er ſich denken, als wenn er auch einmal als Geſelle ſo einwandern, und dann, nach Handwerksge¬ brauch, den Gruß mit den vorgeſchriebnen Wor¬ ten herſagen wuͤrde. — So haͤngt das jugendliche Gemuͤth immer mehr an den Zeichen, als an der Sache, und es laͤßt ſich von den fruͤhen Aeußerungen bei Kindern, in Anſehung der Wahl ihres kuͤnfti¬ gen Berufes, wenig oder gar nichts ſchließen. — Sobald Anton leſen gelernt hatte, fand er ein unbeſchreibliches Vergnuͤgen darin, in die Kirche zu gehen: ſeine Mutter und ſeine Baſe konn¬ ten ſich nicht gnug daruͤber freuen. Was ihn aber in die Kirche trieb, war der Triumph, den er allemal genoß, wenn er nach dem ſchwarzen Brette, wo die Nummern der Geſaͤnge ange¬ ſchrieben waren, hinſehen, und etwa einen er¬ wachſenen Menſchen, der neben ihm ſtand, ſagen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/108
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/108>, abgerufen am 04.12.2024.