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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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Durch dies kurze und erschütternde Lied
wurde man gleichsam voll Erwartung dessen,
was da kommen sollte. Das Herz war zu
großen und erhabnen Eindrücken vorbereitet,
als der Pastor P. . . mit feierlichem Ernst in
seiner Miene, wie ganz in sich versenkt, auftrat,
und ohne Gebet und Eingang, mit ausgestreck¬
tem Arm, zu reden anhub und sprach:

"Wer nicht Witwen und Waisen drückt; wer
"nicht heimlicher Verbrechen sich bewußt ist;
"wer seinen Nächsten nicht mit Wucher über¬
"vortheilet; wem kein Meineid die Seele be¬
"lastet; der hebe voll Zutrauen seine Hände mit
"mit mir zu Gott empor, und bete: Vater
unser! u. s. w.

Und nun las er das Sonntagsevangelium
von Johannes dem Täufer, wo dieser gefragt
wird, ob er Christus sey? "und er bekannte und
leugnete nicht, und er bekannte, ich bin nicht
Christus! --" Von diesen Worten nahm er
Gelegenheit vom Meineide zu predigen, und
nachdem er die Worte des Evangeliums mit einer
etwas gedämpften, feierlichern Stimme gelesen
hatte, hub er nach einer Pause an:

Weh

Durch dies kurze und erſchuͤtternde Lied
wurde man gleichſam voll Erwartung deſſen,
was da kommen ſollte. Das Herz war zu
großen und erhabnen Eindruͤcken vorbereitet,
als der Paſtor P. . . mit feierlichem Ernſt in
ſeiner Miene, wie ganz in ſich verſenkt, auftrat,
und ohne Gebet und Eingang, mit ausgeſtreck¬
tem Arm, zu reden anhub und ſprach:

„Wer nicht Witwen und Waiſen druͤckt; wer
„nicht heimlicher Verbrechen ſich bewußt iſt;
„wer ſeinen Naͤchſten nicht mit Wucher uͤber¬
„vortheilet; wem kein Meineid die Seele be¬
„laſtet; der hebe voll Zutrauen ſeine Haͤnde mit
„mit mir zu Gott empor, und bete: Vater
unſer! u. ſ. w.

Und nun las er das Sonntagsevangelium
von Johannes dem Taͤufer, wo dieſer gefragt
wird, ob er Chriſtus ſey? „und er bekannte und
leugnete nicht, und er bekannte, ich bin nicht
Chriſtus! —“ Von dieſen Worten nahm er
Gelegenheit vom Meineide zu predigen, und
nachdem er die Worte des Evangeliums mit einer
etwas gedaͤmpften, feierlichern Stimme geleſen
hatte, hub er nach einer Pauſe an:

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[118/0128] Durch dies kurze und erſchuͤtternde Lied wurde man gleichſam voll Erwartung deſſen, was da kommen ſollte. Das Herz war zu großen und erhabnen Eindruͤcken vorbereitet, als der Paſtor P. . . mit feierlichem Ernſt in ſeiner Miene, wie ganz in ſich verſenkt, auftrat, und ohne Gebet und Eingang, mit ausgeſtreck¬ tem Arm, zu reden anhub und ſprach: „Wer nicht Witwen und Waiſen druͤckt; wer „nicht heimlicher Verbrechen ſich bewußt iſt; „wer ſeinen Naͤchſten nicht mit Wucher uͤber¬ „vortheilet; wem kein Meineid die Seele be¬ „laſtet; der hebe voll Zutrauen ſeine Haͤnde mit „mit mir zu Gott empor, und bete: Vater unſer! u. ſ. w. Und nun las er das Sonntagsevangelium von Johannes dem Taͤufer, wo dieſer gefragt wird, ob er Chriſtus ſey? „und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte, ich bin nicht Chriſtus! —“ Von dieſen Worten nahm er Gelegenheit vom Meineide zu predigen, und nachdem er die Worte des Evangeliums mit einer etwas gedaͤmpften, feierlichern Stimme geleſen hatte, hub er nach einer Pauſe an: Weh

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/128>, abgerufen am 04.12.2024.