Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Durch dies kurze und erschütternde Lied
wurde man gleichsam voll Erwartung dessen,
was da kommen sollte. Das Herz war zu
großen und erhabnen Eindrücken vorbereitet,
als der Pastor P. . . mit feierlichem Ernst in
seiner Miene, wie ganz in sich versenkt, auftrat,
und ohne Gebet und Eingang, mit ausgestreck¬
tem Arm, zu reden anhub und sprach:

"Wer nicht Witwen und Waisen drückt; wer
"nicht heimlicher Verbrechen sich bewußt ist;
"wer seinen Nächsten nicht mit Wucher über¬
"vortheilet; wem kein Meineid die Seele be¬
"lastet; der hebe voll Zutrauen seine Hände mit
"mit mir zu Gott empor, und bete: Vater
unser! u. s. w.

Und nun las er das Sonntagsevangelium
von Johannes dem Täufer, wo dieser gefragt
wird, ob er Christus sey? "und er bekannte und
leugnete nicht, und er bekannte, ich bin nicht
Christus! --" Von diesen Worten nahm er
Gelegenheit vom Meineide zu predigen, und
nachdem er die Worte des Evangeliums mit einer
etwas gedämpften, feierlichern Stimme gelesen
hatte, hub er nach einer Pause an:

Weh

Durch dies kurze und erſchuͤtternde Lied
wurde man gleichſam voll Erwartung deſſen,
was da kommen ſollte. Das Herz war zu
großen und erhabnen Eindruͤcken vorbereitet,
als der Paſtor P. . . mit feierlichem Ernſt in
ſeiner Miene, wie ganz in ſich verſenkt, auftrat,
und ohne Gebet und Eingang, mit ausgeſtreck¬
tem Arm, zu reden anhub und ſprach:

„Wer nicht Witwen und Waiſen druͤckt; wer
„nicht heimlicher Verbrechen ſich bewußt iſt;
„wer ſeinen Naͤchſten nicht mit Wucher uͤber¬
„vortheilet; wem kein Meineid die Seele be¬
„laſtet; der hebe voll Zutrauen ſeine Haͤnde mit
„mit mir zu Gott empor, und bete: Vater
unſer! u. ſ. w.

Und nun las er das Sonntagsevangelium
von Johannes dem Taͤufer, wo dieſer gefragt
wird, ob er Chriſtus ſey? „und er bekannte und
leugnete nicht, und er bekannte, ich bin nicht
Chriſtus! —“ Von dieſen Worten nahm er
Gelegenheit vom Meineide zu predigen, und
nachdem er die Worte des Evangeliums mit einer
etwas gedaͤmpften, feierlichern Stimme geleſen
hatte, hub er nach einer Pauſe an:

Weh
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0128" n="118"/>
      <p>Durch dies kurze und er&#x017F;chu&#x0364;tternde Lied<lb/>
wurde man gleich&#x017F;am voll Erwartung de&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
was da kommen &#x017F;ollte. Das Herz war zu<lb/>
großen und erhabnen Eindru&#x0364;cken vorbereitet,<lb/>
als der Pa&#x017F;tor P. . . mit feierlichem Ern&#x017F;t in<lb/>
&#x017F;einer Miene, wie ganz in &#x017F;ich ver&#x017F;enkt, auftrat,<lb/>
und ohne Gebet und Eingang, mit ausge&#x017F;treck¬<lb/>
tem Arm, zu reden anhub und &#x017F;prach:</p><lb/>
      <p>&#x201E;Wer nicht Witwen und Wai&#x017F;en dru&#x0364;ckt; wer<lb/>
&#x201E;nicht heimlicher Verbrechen &#x017F;ich bewußt i&#x017F;t;<lb/>
&#x201E;wer &#x017F;einen Na&#x0364;ch&#x017F;ten nicht mit Wucher u&#x0364;ber¬<lb/>
&#x201E;vortheilet; wem kein <hi rendition="#fr">Meineid</hi> die Seele be¬<lb/>
&#x201E;la&#x017F;tet; der hebe voll Zutrauen &#x017F;eine Ha&#x0364;nde mit<lb/>
&#x201E;mit mir zu Gott empor, und bete: Vater<lb/>
un&#x017F;er! u. &#x017F;. w.</p><lb/>
      <p>Und nun las er das Sonntagsevangelium<lb/>
von Johannes dem Ta&#x0364;ufer, wo die&#x017F;er gefragt<lb/>
wird, ob er Chri&#x017F;tus &#x017F;ey? &#x201E;und er <hi rendition="#fr">bekannte</hi> und<lb/><hi rendition="#fr">leugnete</hi> nicht, und er bekannte, ich bin nicht<lb/>
Chri&#x017F;tus! &#x2014;&#x201C; Von die&#x017F;en Worten nahm er<lb/>
Gelegenheit vom <hi rendition="#fr">Meineide</hi> zu predigen, und<lb/>
nachdem er die Worte des Evangeliums mit einer<lb/>
etwas geda&#x0364;mpften, feierlichern Stimme gele&#x017F;en<lb/>
hatte, hub er nach einer Pau&#x017F;e an:</p><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch">Weh<lb/></fw>
    </body>
  </text>
</TEI>
[118/0128] Durch dies kurze und erſchuͤtternde Lied wurde man gleichſam voll Erwartung deſſen, was da kommen ſollte. Das Herz war zu großen und erhabnen Eindruͤcken vorbereitet, als der Paſtor P. . . mit feierlichem Ernſt in ſeiner Miene, wie ganz in ſich verſenkt, auftrat, und ohne Gebet und Eingang, mit ausgeſtreck¬ tem Arm, zu reden anhub und ſprach: „Wer nicht Witwen und Waiſen druͤckt; wer „nicht heimlicher Verbrechen ſich bewußt iſt; „wer ſeinen Naͤchſten nicht mit Wucher uͤber¬ „vortheilet; wem kein Meineid die Seele be¬ „laſtet; der hebe voll Zutrauen ſeine Haͤnde mit „mit mir zu Gott empor, und bete: Vater unſer! u. ſ. w. Und nun las er das Sonntagsevangelium von Johannes dem Taͤufer, wo dieſer gefragt wird, ob er Chriſtus ſey? „und er bekannte und leugnete nicht, und er bekannte, ich bin nicht Chriſtus! —“ Von dieſen Worten nahm er Gelegenheit vom Meineide zu predigen, und nachdem er die Worte des Evangeliums mit einer etwas gedaͤmpften, feierlichern Stimme geleſen hatte, hub er nach einer Pauſe an: Weh

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/128
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/128>, abgerufen am 15.05.2024.