Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

über die Straßen ging, und ein paar Jungen
sich balgen sahe, nicht unterlassen konnte, im
Geiste die Worte des Pastor P... zu wiederho¬
len, und die ruchlose Stadt vor ihrem Verderben
zu warnen, wobei er zugleich den Arm drohend
in die Höhe hob. -- Wo er ging und stand,
haranguirte er in Gedanken für sich selber, und
wenn er dann in recht heftigen Affekt gerieth,
so hielt er die Predigt gegen den Meineid.

So schwebte er eine Zeitlang in diesen ange¬
nehmen Phantasien hin, die ihn das Wollekra¬
tzen in der kalten Stube, das Hütewaschen im
Eise, und den Mangel des Schlafs, wenn er
oft mehrere Nächte hindurch wachen mußte, fast
ganz vergessen ließen. -- Die Stunden entflo¬
hen ihm zuweilen während der Arbeit wie Mi¬
nuten, wenn es ihm gelang, sich in den Charak¬
ter eines öffentlichen Redners hinein zu phan¬
tasiren.

Allein, sey es nun, daß diese unnatürliche
Ueberspannung seiner Seelenkräfte, oder die für
seine Jahre zu große Anstrengung seines Kör¬
pers zur Arbeit, ihn zuletzt niederwerfen mu߬
te -- er ward gefährlich krank. Seine Pflege

war
J 2

uͤber die Straßen ging, und ein paar Jungen
ſich balgen ſahe, nicht unterlaſſen konnte, im
Geiſte die Worte des Paſtor P... zu wiederho¬
len, und die ruchloſe Stadt vor ihrem Verderben
zu warnen, wobei er zugleich den Arm drohend
in die Hoͤhe hob. — Wo er ging und ſtand,
haranguirte er in Gedanken fuͤr ſich ſelber, und
wenn er dann in recht heftigen Affekt gerieth,
ſo hielt er die Predigt gegen den Meineid.

So ſchwebte er eine Zeitlang in dieſen ange¬
nehmen Phantaſien hin, die ihn das Wollekra¬
tzen in der kalten Stube, das Huͤtewaſchen im
Eiſe, und den Mangel des Schlafs, wenn er
oft mehrere Naͤchte hindurch wachen mußte, faſt
ganz vergeſſen ließen. — Die Stunden entflo¬
hen ihm zuweilen waͤhrend der Arbeit wie Mi¬
nuten, wenn es ihm gelang, ſich in den Charak¬
ter eines oͤffentlichen Redners hinein zu phan¬
taſiren.

Allein, ſey es nun, daß dieſe unnatuͤrliche
Ueberſpannung ſeiner Seelenkraͤfte, oder die fuͤr
ſeine Jahre zu große Anſtrengung ſeines Koͤr¬
pers zur Arbeit, ihn zuletzt niederwerfen mu߬
te — er ward gefaͤhrlich krank. Seine Pflege

war
J 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0141" n="131"/>
u&#x0364;ber die Straßen ging, und ein paar Jungen<lb/>
&#x017F;ich balgen &#x017F;ahe, nicht unterla&#x017F;&#x017F;en konnte, im<lb/>
Gei&#x017F;te die Worte des Pa&#x017F;tor P... zu wiederho¬<lb/>
len, und die ruchlo&#x017F;e Stadt vor ihrem Verderben<lb/>
zu warnen, wobei er zugleich den Arm drohend<lb/>
in die Ho&#x0364;he hob. &#x2014; Wo er ging und &#x017F;tand,<lb/>
haranguirte er in Gedanken fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;elber, und<lb/>
wenn er dann in recht heftigen Affekt gerieth,<lb/>
&#x017F;o hielt er die Predigt gegen den Meineid.</p><lb/>
      <p>So &#x017F;chwebte er eine Zeitlang in die&#x017F;en ange¬<lb/>
nehmen Phanta&#x017F;ien hin, die ihn das Wollekra¬<lb/>
tzen in der kalten Stube, das Hu&#x0364;tewa&#x017F;chen im<lb/>
Ei&#x017F;e, und den Mangel des Schlafs, wenn er<lb/>
oft mehrere Na&#x0364;chte hindurch wachen mußte, fa&#x017F;t<lb/>
ganz verge&#x017F;&#x017F;en ließen. &#x2014; Die Stunden entflo¬<lb/>
hen ihm zuweilen wa&#x0364;hrend der Arbeit wie Mi¬<lb/>
nuten, wenn es ihm gelang, &#x017F;ich in den Charak¬<lb/>
ter eines o&#x0364;ffentlichen Redners hinein zu phan¬<lb/>
ta&#x017F;iren.</p><lb/>
      <p>Allein, &#x017F;ey es nun, daß die&#x017F;e unnatu&#x0364;rliche<lb/>
Ueber&#x017F;pannung &#x017F;einer Seelenkra&#x0364;fte, oder die fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;eine Jahre zu große An&#x017F;trengung &#x017F;eines Ko&#x0364;<lb/>
pers zur Arbeit, ihn zuletzt niederwerfen mu߬<lb/>
te &#x2014; er ward gefa&#x0364;hrlich krank. Seine Pflege<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">war<lb/></fw> <fw place="bottom" type="sig">J 2<lb/></fw>
</p>
    </body>
  </text>
</TEI>
[131/0141] uͤber die Straßen ging, und ein paar Jungen ſich balgen ſahe, nicht unterlaſſen konnte, im Geiſte die Worte des Paſtor P... zu wiederho¬ len, und die ruchloſe Stadt vor ihrem Verderben zu warnen, wobei er zugleich den Arm drohend in die Hoͤhe hob. — Wo er ging und ſtand, haranguirte er in Gedanken fuͤr ſich ſelber, und wenn er dann in recht heftigen Affekt gerieth, ſo hielt er die Predigt gegen den Meineid. So ſchwebte er eine Zeitlang in dieſen ange¬ nehmen Phantaſien hin, die ihn das Wollekra¬ tzen in der kalten Stube, das Huͤtewaſchen im Eiſe, und den Mangel des Schlafs, wenn er oft mehrere Naͤchte hindurch wachen mußte, faſt ganz vergeſſen ließen. — Die Stunden entflo¬ hen ihm zuweilen waͤhrend der Arbeit wie Mi¬ nuten, wenn es ihm gelang, ſich in den Charak¬ ter eines oͤffentlichen Redners hinein zu phan¬ taſiren. Allein, ſey es nun, daß dieſe unnatuͤrliche Ueberſpannung ſeiner Seelenkraͤfte, oder die fuͤr ſeine Jahre zu große Anſtrengung ſeines Koͤr¬ pers zur Arbeit, ihn zuletzt niederwerfen mu߬ te — er ward gefaͤhrlich krank. Seine Pflege war J 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/141
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 131. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/141>, abgerufen am 04.12.2024.