Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

machte ihn diese Predigt melancholisch, die
der Pastor P. . ., wenn er gewußt hätte, daß
sie noch auf zwei Menschen solche Würkung, wie
auf Anton thun würde, wahrscheinlich nicht
würde gehalten haben.

So war Anton nun in seinem dreizehnten
Jahre, durch die besondre Führung, die ihm die
göttliche Gnade, durch ihre auserwählten Werk¬
zeuge hatte angedeihen lassen, ein völliger Hy¬
pochondrist geworden, von dem man im eigent¬
lichen Verstande sagen konnte, daß er in jedem
Augenblick lebend starb. -- Der um den Ge¬
nuß seiner Jugend schändlich betrogen wur¬
de -- dem die zuvorkommende Gnade den Kopf
verrückte. --

Aber der Frühling kam wieder heran, und
die Natur, die alles heilet, fing auch hier allmä¬
lig an, wieder gut zu machen, was die Gnade
verdorben hatte.

Anton fühlte neue Lebenskraft in sich; er
wusch sich, und seine Hände rauchten wieder --
es heulten keine Hunde mehr -- das Huhn hörte
auf zu krähen -- und der Pastor P. . . hielt keine
Todespredigten mehr. --

Anton

machte ihn dieſe Predigt melancholiſch, die
der Paſtor P. . ., wenn er gewußt haͤtte, daß
ſie noch auf zwei Menſchen ſolche Wuͤrkung, wie
auf Anton thun wuͤrde, wahrſcheinlich nicht
wuͤrde gehalten haben.

So war Anton nun in ſeinem dreizehnten
Jahre, durch die beſondre Fuͤhrung, die ihm die
goͤttliche Gnade, durch ihre auserwaͤhlten Werk¬
zeuge hatte angedeihen laſſen, ein voͤlliger Hy¬
pochondriſt geworden, von dem man im eigent¬
lichen Verſtande ſagen konnte, daß er in jedem
Augenblick lebend ſtarb. — Der um den Ge¬
nuß ſeiner Jugend ſchaͤndlich betrogen wur¬
de — dem die zuvorkommende Gnade den Kopf
verruͤckte. —

Aber der Fruͤhling kam wieder heran, und
die Natur, die alles heilet, fing auch hier allmaͤ¬
lig an, wieder gut zu machen, was die Gnade
verdorben hatte.

Anton fuͤhlte neue Lebenskraft in ſich; er
wuſch ſich, und ſeine Haͤnde rauchten wieder —
es heulten keine Hunde mehr — das Huhn hoͤrte
auf zu kraͤhen — und der Paſtor P. . . hielt keine
Todespredigten mehr. —

Anton
<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0148" n="138"/>
machte ihn die&#x017F;e Predigt melancholi&#x017F;ch, die<lb/>
der Pa&#x017F;tor P. . ., wenn er gewußt ha&#x0364;tte, daß<lb/>
&#x017F;ie noch auf zwei Men&#x017F;chen &#x017F;olche Wu&#x0364;rkung, wie<lb/>
auf Anton thun wu&#x0364;rde, wahr&#x017F;cheinlich nicht<lb/>
wu&#x0364;rde gehalten haben.</p><lb/>
      <p>So war Anton nun in &#x017F;einem dreizehnten<lb/>
Jahre, durch die be&#x017F;ondre Fu&#x0364;hrung, die ihm die<lb/>
go&#x0364;ttliche Gnade, durch ihre auserwa&#x0364;hlten Werk¬<lb/>
zeuge hatte angedeihen la&#x017F;&#x017F;en, ein vo&#x0364;lliger Hy¬<lb/>
pochondri&#x017F;t geworden, von dem man im eigent¬<lb/>
lichen Ver&#x017F;tande &#x017F;agen konnte, daß er in jedem<lb/>
Augenblick <hi rendition="#fr">lebend &#x017F;tarb</hi>. &#x2014; Der um den Ge¬<lb/>
nuß &#x017F;einer Jugend &#x017F;cha&#x0364;ndlich betrogen wur¬<lb/>
de &#x2014; dem die zuvorkommende Gnade den Kopf<lb/>
verru&#x0364;ckte. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Aber der Fru&#x0364;hling kam wieder heran, und<lb/>
die Natur, die alles heilet, fing auch hier allma&#x0364;¬<lb/>
lig an, wieder gut zu machen, was die Gnade<lb/>
verdorben hatte.</p><lb/>
      <p>Anton fu&#x0364;hlte neue Lebenskraft in &#x017F;ich; er<lb/>
wu&#x017F;ch &#x017F;ich, und &#x017F;eine Ha&#x0364;nde rauchten wieder &#x2014;<lb/>
es heulten keine Hunde mehr &#x2014; das Huhn ho&#x0364;rte<lb/>
auf zu kra&#x0364;hen &#x2014; und der Pa&#x017F;tor P. . . hielt keine<lb/>
Todespredigten mehr. &#x2014;</p><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch">Anton<lb/></fw>
    </body>
  </text>
</TEI>
[138/0148] machte ihn dieſe Predigt melancholiſch, die der Paſtor P. . ., wenn er gewußt haͤtte, daß ſie noch auf zwei Menſchen ſolche Wuͤrkung, wie auf Anton thun wuͤrde, wahrſcheinlich nicht wuͤrde gehalten haben. So war Anton nun in ſeinem dreizehnten Jahre, durch die beſondre Fuͤhrung, die ihm die goͤttliche Gnade, durch ihre auserwaͤhlten Werk¬ zeuge hatte angedeihen laſſen, ein voͤlliger Hy¬ pochondriſt geworden, von dem man im eigent¬ lichen Verſtande ſagen konnte, daß er in jedem Augenblick lebend ſtarb. — Der um den Ge¬ nuß ſeiner Jugend ſchaͤndlich betrogen wur¬ de — dem die zuvorkommende Gnade den Kopf verruͤckte. — Aber der Fruͤhling kam wieder heran, und die Natur, die alles heilet, fing auch hier allmaͤ¬ lig an, wieder gut zu machen, was die Gnade verdorben hatte. Anton fuͤhlte neue Lebenskraft in ſich; er wuſch ſich, und ſeine Haͤnde rauchten wieder — es heulten keine Hunde mehr — das Huhn hoͤrte auf zu kraͤhen — und der Paſtor P. . . hielt keine Todespredigten mehr. — Anton

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/148
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/148>, abgerufen am 15.05.2024.