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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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eigentlich erklären, sondern nur einige moralische
Lehren herausziehen.

Auf die Weise ging beinahe ein Jahr hin, wo
Anton so außerordentliche Fortschritte in seinem
Fleiß that, und sich so untadelhaft betrug, daß er
seinen Zweck, Aufmerksamkeit auf sich zu erregen,
im höchsten Grade erreichte, indem er sich sogar
den Neid seiner Lehrer zuzog.

Nun stand er aber auch auf dem entscheidenden
Punkte, wo er irgend eine Lebensart wählen
sollte, und die Härte seines Vaters, der nun daran
arbeitete, ihn bald los zu werden, nahm von Tage
zu Tage gegen ihn zu, so daß die Schule gleich¬
sam ein sichrer Zufluchtsort für ihn, vor der Be¬
drückung und Verfolgung zu Hause war.

Sein geliebter Lehrer R. . . wurde indeß zu
einem Dorfschulmeister befördert, und nun hatte
er keinen eigentlichen Freund mehr unter seinen
Lehrern. -- Dieser rieth ihm bei seinem Abschiede
noch einmal, sich geradezu an den Inspektor zu
wenden -- und weil es nun ohnedem die höchste
Zeit war, irgend einen Entschluß zu fassen, so

wagte
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eigentlich erklaͤren, ſondern nur einige moraliſche
Lehren herausziehen.

Auf die Weiſe ging beinahe ein Jahr hin, wo
Anton ſo außerordentliche Fortſchritte in ſeinem
Fleiß that, und ſich ſo untadelhaft betrug, daß er
ſeinen Zweck, Aufmerkſamkeit auf ſich zu erregen,
im hoͤchſten Grade erreichte, indem er ſich ſogar
den Neid ſeiner Lehrer zuzog.

Nun ſtand er aber auch auf dem entſcheidenden
Punkte, wo er irgend eine Lebensart waͤhlen
ſollte, und die Haͤrte ſeines Vaters, der nun daran
arbeitete, ihn bald los zu werden, nahm von Tage
zu Tage gegen ihn zu, ſo daß die Schule gleich¬
ſam ein ſichrer Zufluchtsort fuͤr ihn, vor der Be¬
druͤckung und Verfolgung zu Hauſe war.

Sein geliebter Lehrer R. . . wurde indeß zu
einem Dorfſchulmeiſter befoͤrdert, und nun hatte
er keinen eigentlichen Freund mehr unter ſeinen
Lehrern. — Dieſer rieth ihm bei ſeinem Abſchiede
noch einmal, ſich geradezu an den Inſpektor zu
wenden — und weil es nun ohnedem die hoͤchſte
Zeit war, irgend einen Entſchluß zu faſſen, ſo

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[183/0193] eigentlich erklaͤren, ſondern nur einige moraliſche Lehren herausziehen. Auf die Weiſe ging beinahe ein Jahr hin, wo Anton ſo außerordentliche Fortſchritte in ſeinem Fleiß that, und ſich ſo untadelhaft betrug, daß er ſeinen Zweck, Aufmerkſamkeit auf ſich zu erregen, im hoͤchſten Grade erreichte, indem er ſich ſogar den Neid ſeiner Lehrer zuzog. Nun ſtand er aber auch auf dem entſcheidenden Punkte, wo er irgend eine Lebensart waͤhlen ſollte, und die Haͤrte ſeines Vaters, der nun daran arbeitete, ihn bald los zu werden, nahm von Tage zu Tage gegen ihn zu, ſo daß die Schule gleich¬ ſam ein ſichrer Zufluchtsort fuͤr ihn, vor der Be¬ druͤckung und Verfolgung zu Hauſe war. Sein geliebter Lehrer R. . . wurde indeß zu einem Dorfſchulmeiſter befoͤrdert, und nun hatte er keinen eigentlichen Freund mehr unter ſeinen Lehrern. — Dieſer rieth ihm bei ſeinem Abſchiede noch einmal, ſich geradezu an den Inſpektor zu wenden — und weil es nun ohnedem die hoͤchſte Zeit war, irgend einen Entſchluß zu faſſen, ſo wagte M 4

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/193>, abgerufen am 15.05.2024.