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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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nicht unbemerkt blieb, aber doch nie die eigent¬
liche Ursach ward, die ihn zum Fleiß anspornete.

Seine Begierde zu lesen, war nun unersätt¬
lich. Zum Glücke standen in dem Buchstabier¬
buche, außer den biblischen Sprüchen, auch ei¬
nige Erzählungen von frommen Kindern, die
mehr wie hundertmal von ihm durchgelesen wur¬
den, ob sie gleich nicht viel Anziehendes hatten.

Die eine handelte von einem sechsjährigen
Knaben, der zur Zeit der Verfolgung die christ¬
liche Religion nicht verläugnen wollte, sondern
sich lieber auf das entsetzlichste peinigen, und
nebst seiner Mutter, als ein Märtyrer für die
Religion sein Leben ließ; die andre von einem
bösen Buben, der sich im zwanzigsten Jahre
seines Lebens bekehrte, und bald darauf starb.

Nun kam auch das andre kleine Buch an die
Reihe, worin die Abhandlung gegen das Buch¬
stabiren stand, und er zu seiner großen Verwun¬
derung laß, daß es schädlich, ja seelenverderblich
sey, die Kinder durch Buchstabiren lesen zu lehren.

In diesem Buche fand er auch eine Anwei¬
sung für Lehrer, die Kinder lesen zu lehren,
und eine Abhandlung über die Hervorbringung

nicht unbemerkt blieb, aber doch nie die eigent¬
liche Urſach ward, die ihn zum Fleiß anſpornete.

Seine Begierde zu leſen, war nun unerſaͤtt¬
lich. Zum Gluͤcke ſtanden in dem Buchſtabier¬
buche, außer den bibliſchen Spruͤchen, auch ei¬
nige Erzaͤhlungen von frommen Kindern, die
mehr wie hundertmal von ihm durchgeleſen wur¬
den, ob ſie gleich nicht viel Anziehendes hatten.

Die eine handelte von einem ſechsjaͤhrigen
Knaben, der zur Zeit der Verfolgung die chriſt¬
liche Religion nicht verlaͤugnen wollte, ſondern
ſich lieber auf das entſetzlichſte peinigen, und
nebſt ſeiner Mutter, als ein Maͤrtyrer fuͤr die
Religion ſein Leben ließ; die andre von einem
boͤſen Buben, der ſich im zwanzigſten Jahre
ſeines Lebens bekehrte, und bald darauf ſtarb.

Nun kam auch das andre kleine Buch an die
Reihe, worin die Abhandlung gegen das Buch¬
ſtabiren ſtand, und er zu ſeiner großen Verwun¬
derung laß, daß es ſchaͤdlich, ja ſeelenverderblich
ſey, die Kinder durch Buchſtabiren leſen zu lehren.

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[15/0025] nicht unbemerkt blieb, aber doch nie die eigent¬ liche Urſach ward, die ihn zum Fleiß anſpornete. Seine Begierde zu leſen, war nun unerſaͤtt¬ lich. Zum Gluͤcke ſtanden in dem Buchſtabier¬ buche, außer den bibliſchen Spruͤchen, auch ei¬ nige Erzaͤhlungen von frommen Kindern, die mehr wie hundertmal von ihm durchgeleſen wur¬ den, ob ſie gleich nicht viel Anziehendes hatten. Die eine handelte von einem ſechsjaͤhrigen Knaben, der zur Zeit der Verfolgung die chriſt¬ liche Religion nicht verlaͤugnen wollte, ſondern ſich lieber auf das entſetzlichſte peinigen, und nebſt ſeiner Mutter, als ein Maͤrtyrer fuͤr die Religion ſein Leben ließ; die andre von einem boͤſen Buben, der ſich im zwanzigſten Jahre ſeines Lebens bekehrte, und bald darauf ſtarb. Nun kam auch das andre kleine Buch an die Reihe, worin die Abhandlung gegen das Buch¬ ſtabiren ſtand, und er zu ſeiner großen Verwun¬ derung laß, daß es ſchaͤdlich, ja ſeelenverderblich ſey, die Kinder durch Buchſtabiren leſen zu lehren. In dieſem Buche fand er auch eine Anwei¬ ſung fuͤr Lehrer, die Kinder leſen zu lehren, und eine Abhandlung uͤber die Hervorbringung

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/25>, abgerufen am 01.05.2024.