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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785.

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Die Altväter, so abgeschmackt und aben¬
theuerlich oft ihre Geschichte seyn mochte, wa¬
ren für Anton die würdigsten Muster zur Nach¬
ahmung, und er kannte eine Zeitlang keinen
höhern Wunsch, als seinem großen Namensge¬
nossen, dem heiligen Antonius, ähnlich zu wer¬
den, und wie dieser Vater und Mutter zu verlassen
und in eine Wüste zu fliehen, die er nicht weit
vom Thore zu finden hofte, und wohin er ein¬
mal wirklich eine Reise antrat, indem er sich
über hundert Schritte weit von der Wohnung
seiner Eltern entfernte, und vielleicht noch wei¬
ter gegangen wäre, wenn die Schmerzen an
seinem Fuße ihn nicht genöthiget hätten, wieder
zurück zu kehren. Auch fing er wirklich zuwei¬
len an, sich mit Nadeln zu pricken, und sonst zu
peinigen, um dadurch den heiligen Altvätern
einigermaßen ähnlich zu werden, da es ihm doch
ohnedem an Schmerzen nicht fehlte.

Während dieser Lektüre ward ihm ein kleines
Buch geschenkt, dessen eigentlichen Titel er sich
nicht erinnert, das aber von einer frühen Got¬
tesfurcht handelte, und Anweisung gab, wie

Die Altvaͤter, ſo abgeſchmackt und aben¬
theuerlich oft ihre Geſchichte ſeyn mochte, wa¬
ren fuͤr Anton die wuͤrdigſten Muſter zur Nach¬
ahmung, und er kannte eine Zeitlang keinen
hoͤhern Wunſch, als ſeinem großen Namensge¬
noſſen, dem heiligen Antonius, aͤhnlich zu wer¬
den, und wie dieſer Vater und Mutter zu verlaſſen
und in eine Wuͤſte zu fliehen, die er nicht weit
vom Thore zu finden hofte, und wohin er ein¬
mal wirklich eine Reiſe antrat, indem er ſich
uͤber hundert Schritte weit von der Wohnung
ſeiner Eltern entfernte, und vielleicht noch wei¬
ter gegangen waͤre, wenn die Schmerzen an
ſeinem Fuße ihn nicht genoͤthiget haͤtten, wieder
zuruͤck zu kehren. Auch fing er wirklich zuwei¬
len an, ſich mit Nadeln zu pricken, und ſonſt zu
peinigen, um dadurch den heiligen Altvaͤtern
einigermaßen aͤhnlich zu werden, da es ihm doch
ohnedem an Schmerzen nicht fehlte.

Waͤhrend dieſer Lektuͤre ward ihm ein kleines
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nicht erinnert, das aber von einer fruͤhen Got¬
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[20/0030] Die Altvaͤter, ſo abgeſchmackt und aben¬ theuerlich oft ihre Geſchichte ſeyn mochte, wa¬ ren fuͤr Anton die wuͤrdigſten Muſter zur Nach¬ ahmung, und er kannte eine Zeitlang keinen hoͤhern Wunſch, als ſeinem großen Namensge¬ noſſen, dem heiligen Antonius, aͤhnlich zu wer¬ den, und wie dieſer Vater und Mutter zu verlaſſen und in eine Wuͤſte zu fliehen, die er nicht weit vom Thore zu finden hofte, und wohin er ein¬ mal wirklich eine Reiſe antrat, indem er ſich uͤber hundert Schritte weit von der Wohnung ſeiner Eltern entfernte, und vielleicht noch wei¬ ter gegangen waͤre, wenn die Schmerzen an ſeinem Fuße ihn nicht genoͤthiget haͤtten, wieder zuruͤck zu kehren. Auch fing er wirklich zuwei¬ len an, ſich mit Nadeln zu pricken, und ſonſt zu peinigen, um dadurch den heiligen Altvaͤtern einigermaßen aͤhnlich zu werden, da es ihm doch ohnedem an Schmerzen nicht fehlte. Waͤhrend dieſer Lektuͤre ward ihm ein kleines Buch geſchenkt, deſſen eigentlichen Titel er ſich nicht erinnert, das aber von einer fruͤhen Got¬ tesfurcht handelte, und Anweiſung gab, wie

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 1. Berlin, 1785, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser01_1785/30>, abgerufen am 01.05.2024.