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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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das Gegengift aller Empfindsamkeit und hohen
Schwärmerei ist, womit das schmerzhafte, das
schreckliche, das niederbeugende, das in Zorn
setzende, aber nur das verdrießlichmachende
nicht wohl bestehen kann. --

Aber dieß Gegengift half bei Reisern nicht --
er ging ganze Tage einsam für sich umher, und
dachte darauf, wie er es machen wollte, ein Bauer
zu werden, ohne doch in der That einen Schritt
dazu zu thun -- vielmehr fing er an, sich in die¬
sen süßen Schwärmereien selbst wieder zu gefal¬
len -- wenn er sich nun als Bauer dachte, so
glaubte er sich doch zu etwas bessern bestimmt zu
sein, und empfand über sein Schicksal wieder
eine Art von tröstendem Mittleid mit sich selber.

So lange ihn nun diese Phantasie noch empor
hielt, war er nur schwermuthsvoll und traurig,
aber nicht eigentlich verdrießlich über seinen
Zustand -- Selbst seine Entbehrung der noth¬
wendigsten Bedürfnisse machte ihm noch eine
Art von Vergnügen, indem er nun beinahe glaub¬
te, daß er für sein Verschulden doch zu sehr büs¬
sen müsse, und also noch die süße Empfindung
des Mitleids mit sich selber behielt --

das Gegengift aller Empfindſamkeit und hohen
Schwaͤrmerei iſt, womit das ſchmerzhafte, das
ſchreckliche, das niederbeugende, das in Zorn
ſetzende, aber nur das verdrießlichmachende
nicht wohl beſtehen kann. —

Aber dieß Gegengift half bei Reiſern nicht —
er ging ganze Tage einſam fuͤr ſich umher, und
dachte darauf, wie er es machen wollte, ein Bauer
zu werden, ohne doch in der That einen Schritt
dazu zu thun — vielmehr fing er an, ſich in die¬
ſen ſuͤßen Schwaͤrmereien ſelbſt wieder zu gefal¬
len — wenn er ſich nun als Bauer dachte, ſo
glaubte er ſich doch zu etwas beſſern beſtimmt zu
ſein, und empfand uͤber ſein Schickſal wieder
eine Art von troͤſtendem Mittleid mit ſich ſelber.

So lange ihn nun dieſe Phantaſie noch empor
hielt, war er nur ſchwermuthsvoll und traurig,
aber nicht eigentlich verdrießlich uͤber ſeinen
Zuſtand — Selbſt ſeine Entbehrung der noth¬
wendigſten Beduͤrfniſſe machte ihm noch eine
Art von Vergnuͤgen, indem er nun beinahe glaub¬
te, daß er fuͤr ſein Verſchulden doch zu ſehr buͤſ¬
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[171/0181] das Gegengift aller Empfindſamkeit und hohen Schwaͤrmerei iſt, womit das ſchmerzhafte, das ſchreckliche, das niederbeugende, das in Zorn ſetzende, aber nur das verdrießlichmachende nicht wohl beſtehen kann. — Aber dieß Gegengift half bei Reiſern nicht — er ging ganze Tage einſam fuͤr ſich umher, und dachte darauf, wie er es machen wollte, ein Bauer zu werden, ohne doch in der That einen Schritt dazu zu thun — vielmehr fing er an, ſich in die¬ ſen ſuͤßen Schwaͤrmereien ſelbſt wieder zu gefal¬ len — wenn er ſich nun als Bauer dachte, ſo glaubte er ſich doch zu etwas beſſern beſtimmt zu ſein, und empfand uͤber ſein Schickſal wieder eine Art von troͤſtendem Mittleid mit ſich ſelber. So lange ihn nun dieſe Phantaſie noch empor hielt, war er nur ſchwermuthsvoll und traurig, aber nicht eigentlich verdrießlich uͤber ſeinen Zuſtand — Selbſt ſeine Entbehrung der noth¬ wendigſten Beduͤrfniſſe machte ihm noch eine Art von Vergnuͤgen, indem er nun beinahe glaub¬ te, daß er fuͤr ſein Verſchulden doch zu ſehr buͤſ¬ ſen muͤſſe, und alſo noch die ſuͤße Empfindung des Mitleids mit ſich ſelber behielt —

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/181>, abgerufen am 21.11.2024.