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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786.

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Denn von der Tugend hatte er sich damals ein
sonderbares Ideal gemacht, welches seine Phan¬
tasie so sehr einnahm, daß ihn oft schon der Nahme
Tugend bis zu Thränen rührte. --

Er dachte sich aber unter diesem Nahmen et¬
was viel zu Allgemeines, und dachte dieß all¬
gemeine viel zu dunkel, und mit zu weniger An¬
wendung auf besondre Vorfälle, als daß es ihm
je hätte gelingen können, auch den aufrichtigsten
Vorsatz tugendhaft zu seyn, auszuführen -- denn
er dachte immer nicht daran, wo er nun eigent¬
lich anfangen sollte. --

Einmal kam er an einem schönen Abend von
einem einsamen Spaziergange zu Hause, und
der Anblick der Natur hatte sein Herz zu sanf¬
ten Empfindungen geschmolzen, daß er viele
Thränen vergoß, und sich in der Stille gelobte,
von nun an der Tugend ewig getreu zu seyn! --
und da er diesen Vorsatz fest gefast hatte, so em¬
pfand er ein so himmlisches Vergnügen über die¬
sen Enschluß, daß es ihm nun fast unmöglich schien
je von diesem beglückenden Vorsatze wieder abzu¬

Denn von der Tugend hatte er ſich damals ein
ſonderbares Ideal gemacht, welches ſeine Phan¬
taſie ſo ſehr einnahm, daß ihn oft ſchon der Nahme
Tugend bis zu Thraͤnen ruͤhrte. —

Er dachte ſich aber unter dieſem Nahmen et¬
was viel zu Allgemeines, und dachte dieß all¬
gemeine viel zu dunkel, und mit zu weniger An¬
wendung auf beſondre Vorfaͤlle, als daß es ihm
je haͤtte gelingen koͤnnen, auch den aufrichtigſten
Vorſatz tugendhaft zu ſeyn, auszufuͤhren — denn
er dachte immer nicht daran, wo er nun eigent¬
lich anfangen ſollte. —

Einmal kam er an einem ſchoͤnen Abend von
einem einſamen Spaziergange zu Hauſe, und
der Anblick der Natur hatte ſein Herz zu ſanf¬
ten Empfindungen geſchmolzen, daß er viele
Thraͤnen vergoß, und ſich in der Stille gelobte,
von nun an der Tugend ewig getreu zu ſeyn! —
und da er dieſen Vorſatz feſt gefaſt hatte, ſo em¬
pfand er ein ſo himmliſches Vergnuͤgen uͤber die¬
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[184/0194] Denn von der Tugend hatte er ſich damals ein ſonderbares Ideal gemacht, welches ſeine Phan¬ taſie ſo ſehr einnahm, daß ihn oft ſchon der Nahme Tugend bis zu Thraͤnen ruͤhrte. — Er dachte ſich aber unter dieſem Nahmen et¬ was viel zu Allgemeines, und dachte dieß all¬ gemeine viel zu dunkel, und mit zu weniger An¬ wendung auf beſondre Vorfaͤlle, als daß es ihm je haͤtte gelingen koͤnnen, auch den aufrichtigſten Vorſatz tugendhaft zu ſeyn, auszufuͤhren — denn er dachte immer nicht daran, wo er nun eigent¬ lich anfangen ſollte. — Einmal kam er an einem ſchoͤnen Abend von einem einſamen Spaziergange zu Hauſe, und der Anblick der Natur hatte ſein Herz zu ſanf¬ ten Empfindungen geſchmolzen, daß er viele Thraͤnen vergoß, und ſich in der Stille gelobte, von nun an der Tugend ewig getreu zu ſeyn! — und da er dieſen Vorſatz feſt gefaſt hatte, ſo em¬ pfand er ein ſo himmliſches Vergnuͤgen uͤber die¬ ſen Enſchluß, daß es ihm nun faſt unmoͤglich ſchien je von dieſem begluͤckenden Vorſatze wieder abzu¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/194>, abgerufen am 21.11.2024.