habt, was man bei manchen jungen Leuten ein insinuantes Wesen nennt. Allein zu einem sol¬ chen insinuanten Wesen gehört ein gewisses Selbst¬ zutrauen, das ihm von Kindheit auf war benom¬ men worden; um sich gefällig zu machen, muß man vorher den Gedanken haben, daß man auch gefallen könne. -- Reisers Selbstzutrauen mu߬ te erst durch zuvorkommende Güte geweckt wer¬ den, ehe er es wagte, sich beliebt zu machen. -- Und wo er nur einen Schein von Unzufrieden¬ heit andrer mit ihm bemerkte, da war er sehr geneigt, an der Möglichkeit zu verzweifeln, je¬ mals ein Gegenstand ihrer Liebe oder ihrer Ach¬ tung zu werden. Darum gehörte gewiß ein gros¬ ser Grad von Anstrengung bei ihm dazu, sich sel¬ ber Personen als einen Gegenstand ihrer Auf¬ merksamkeit vorzustellen, von denen er noch nicht wußte, wie sie seine Zudringlichkeit aufnehmen würden.
Seine Baase prophezeite ihm sehr oft, wie ihm der Mangel jenes insinuanten Wesens an seinem Fortkommen in der Welt schaden würde. Sie lehrte ihn, wie er mit der Frau F. . . spre¬ chen, und ihr sagen solle: "liebe Frau F. . ., seyn
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habt, was man bei manchen jungen Leuten ein inſinuantes Weſen nennt. Allein zu einem ſol¬ chen inſinuanten Weſen gehoͤrt ein gewiſſes Selbſt¬ zutrauen, das ihm von Kindheit auf war benom¬ men worden; um ſich gefaͤllig zu machen, muß man vorher den Gedanken haben, daß man auch gefallen koͤnne. — Reiſers Selbſtzutrauen mu߬ te erſt durch zuvorkommende Guͤte geweckt wer¬ den, ehe er es wagte, ſich beliebt zu machen. — Und wo er nur einen Schein von Unzufrieden¬ heit andrer mit ihm bemerkte, da war er ſehr geneigt, an der Moͤglichkeit zu verzweifeln, je¬ mals ein Gegenſtand ihrer Liebe oder ihrer Ach¬ tung zu werden. Darum gehoͤrte gewiß ein groſ¬ ſer Grad von Anſtrengung bei ihm dazu, ſich ſel¬ ber Perſonen als einen Gegenſtand ihrer Auf¬ merkſamkeit vorzuſtellen, von denen er noch nicht wußte, wie ſie ſeine Zudringlichkeit aufnehmen wuͤrden.
Seine Baaſe prophezeite ihm ſehr oft, wie ihm der Mangel jenes inſinuanten Weſens an ſeinem Fortkommen in der Welt ſchaden wuͤrde. Sie lehrte ihn, wie er mit der Frau F. . . ſpre¬ chen, und ihr ſagen ſolle: „liebe Frau F. . ., ſeyn
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habt, was man bei manchen jungen Leuten ein
inſinuantes Weſen nennt. Allein zu einem ſol¬
chen inſinuanten Weſen gehoͤrt ein gewiſſes Selbſt¬
zutrauen, das ihm von Kindheit auf war benom¬
men worden; um ſich gefaͤllig zu machen, muß
man vorher den Gedanken haben, daß man auch
gefallen koͤnne. — Reiſers Selbſtzutrauen mu߬
te erſt durch zuvorkommende Guͤte geweckt wer¬
den, ehe er es wagte, ſich beliebt zu machen. —
Und wo er nur einen Schein von Unzufrieden¬
heit andrer mit ihm bemerkte, da war er ſehr
geneigt, an der Moͤglichkeit zu verzweifeln, je¬
mals ein Gegenſtand ihrer Liebe oder ihrer Ach¬
tung zu werden. Darum gehoͤrte gewiß ein groſ¬
ſer Grad von Anſtrengung bei ihm dazu, ſich ſel¬
ber Perſonen als einen Gegenſtand ihrer Auf¬
merkſamkeit vorzuſtellen, von denen er noch nicht
wußte, wie ſie ſeine Zudringlichkeit aufnehmen
wuͤrden.
Seine Baaſe prophezeite ihm ſehr oft, wie
ihm der Mangel jenes inſinuanten Weſens an
ſeinem Fortkommen in der Welt ſchaden wuͤrde.
Sie lehrte ihn, wie er mit der Frau F. . . ſpre¬
chen, und ihr ſagen ſolle: „liebe Frau F. . ., ſeyn
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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 2. Berlin, 1786, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser02_1786/35>, abgerufen am 16.07.2024.
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