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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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deklamirte er mit einem wirklichen Pathos, das er
in Stimme und Bewegung äußerte, und blieb,
nachdem er schon stillgeschwiegen hatte, noch ei¬
nen Augenblick mit emporgehobnen Arm ste¬
hen, der gleichsam ein Bild seines fortdaurenden
unaufgelößten schrecklichen Zweifels blieb.

Da er nun von dem Direktor die Abschrift
seines Gedichts wieder znrückerhielt, gab ihm die¬
ser seinen Beifall mit seiner Deklamation zu er¬
kennen, und sagte zugleich, die beiden Gedichte,
welche er deklamiret hätte, wären sehr gut aus¬
gewählt
. --

Diß war denn doch zu viel für Reisern, als
daß er länger der Versuchung hätte wiederstehen
können, den Direktor wissen zu lassen, daß die
Gedichte von ihm selber wären, und den Beifall,
der jetzt nur seine Auswahl traf, für seine Arbeit
einzuerndten.

Indes schwieg er jetzt noch stille, und wartete
ein paar Tage, bis er ohnedem zu dem Direktor
gehen mußte, um ihm einen lateinischen Aufsatz,
den er, so wie seine Mitschüler, wöchentlich zur
Uebung im Stiel verfertigen mußte, zur Durch¬
sicht zu bringen; und bei dieser Gelegenheit über¬

deklamirte er mit einem wirklichen Pathos, das er
in Stimme und Bewegung aͤußerte, und blieb,
nachdem er ſchon ſtillgeſchwiegen hatte, noch ei¬
nen Augenblick mit emporgehobnen Arm ſte¬
hen, der gleichſam ein Bild ſeines fortdaurenden
unaufgeloͤßten ſchrecklichen Zweifels blieb.

Da er nun von dem Direktor die Abſchrift
ſeines Gedichts wieder znruͤckerhielt, gab ihm die¬
ſer ſeinen Beifall mit ſeiner Deklamation zu er¬
kennen, und ſagte zugleich, die beiden Gedichte,
welche er deklamiret haͤtte, waͤren ſehr gut aus¬
gewaͤhlt
. —

Diß war denn doch zu viel fuͤr Reiſern, als
daß er laͤnger der Verſuchung haͤtte wiederſtehen
koͤnnen, den Direktor wiſſen zu laſſen, daß die
Gedichte von ihm ſelber waͤren, und den Beifall,
der jetzt nur ſeine Auswahl traf, fuͤr ſeine Arbeit
einzuerndten.

Indes ſchwieg er jetzt noch ſtille, und wartete
ein paar Tage, bis er ohnedem zu dem Direktor
gehen mußte, um ihm einen lateiniſchen Aufſatz,
den er, ſo wie ſeine Mitſchuͤler, woͤchentlich zur
Uebung im Stiel verfertigen mußte, zur Durch¬
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[120/0130] deklamirte er mit einem wirklichen Pathos, das er in Stimme und Bewegung aͤußerte, und blieb, nachdem er ſchon ſtillgeſchwiegen hatte, noch ei¬ nen Augenblick mit emporgehobnen Arm ſte¬ hen, der gleichſam ein Bild ſeines fortdaurenden unaufgeloͤßten ſchrecklichen Zweifels blieb. Da er nun von dem Direktor die Abſchrift ſeines Gedichts wieder znruͤckerhielt, gab ihm die¬ ſer ſeinen Beifall mit ſeiner Deklamation zu er¬ kennen, und ſagte zugleich, die beiden Gedichte, welche er deklamiret haͤtte, waͤren ſehr gut aus¬ gewaͤhlt. — Diß war denn doch zu viel fuͤr Reiſern, als daß er laͤnger der Verſuchung haͤtte wiederſtehen koͤnnen, den Direktor wiſſen zu laſſen, daß die Gedichte von ihm ſelber waͤren, und den Beifall, der jetzt nur ſeine Auswahl traf, fuͤr ſeine Arbeit einzuerndten. Indes ſchwieg er jetzt noch ſtille, und wartete ein paar Tage, bis er ohnedem zu dem Direktor gehen mußte, um ihm einen lateiniſchen Aufſatz, den er, ſo wie ſeine Mitſchuͤler, woͤchentlich zur Uebung im Stiel verfertigen mußte, zur Durch¬ ſicht zu bringen; und bei dieſer Gelegenheit uͤber¬

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/130>, abgerufen am 27.11.2024.