lichen, wenigstens keinem noch lebenden Sterblichen zutrauete. --
Ueberhaupt war es ihm noch lange nachher immer eine sonderbare Idee, wenn er hörte, daß die Personen, die irgend ein berühmtes Werk geschrieben hatten, noch lebten, und also aßen, tranken, und schliefen, wie er. --
Da er in seinem sechszehnten Jahre zum er¬ stenmale Moses Mendelsohns Schriften laß, so kam der Nahme, der alte Homerskopf auf dem Titel, alles zusammen, um eine sonderbare Täu¬ schung bei ihm hervorzubringen, als ob dieser Moses Mendelsohn irgend ein alter Weiser sey, der vor Jahrhunderten gelebt hätte, und dessen Schriften nun etwa ins Deutsche übersetzt wä¬ ren -- er trug sich lange mit diesem Wahn herum, bis er einmal zufälliger Weise von seinem Vater hörte, daß dieser Mendelssohn noch lebe, daß er ein Jude sey, auf den die ganze jüdische Nation sehr stolz wäre, und daß Reisers Vater ihn selbst in Pyrmont gesehen habe, und wie er aussähe, u. s. w. dieß brachte in Reisers Ideenzustande auf einmal eine große Veränderung hervor -- seine Vorstellungen vom Alten und Neuen, Ge¬
gen¬
lichen, wenigſtens keinem noch lebenden Sterblichen zutrauete. —
Ueberhaupt war es ihm noch lange nachher immer eine ſonderbare Idee, wenn er hoͤrte, daß die Perſonen, die irgend ein beruͤhmtes Werk geſchrieben hatten, noch lebten, und alſo aßen, tranken, und ſchliefen, wie er. —
Da er in ſeinem ſechszehnten Jahre zum er¬ ſtenmale Moſes Mendelſohns Schriften laß, ſo kam der Nahme, der alte Homerskopf auf dem Titel, alles zuſammen, um eine ſonderbare Taͤu¬ ſchung bei ihm hervorzubringen, als ob dieſer Moſes Mendelſohn irgend ein alter Weiſer ſey, der vor Jahrhunderten gelebt haͤtte, und deſſen Schriften nun etwa ins Deutſche uͤberſetzt waͤ¬ ren — er trug ſich lange mit dieſem Wahn herum, bis er einmal zufaͤlliger Weiſe von ſeinem Vater hoͤrte, daß dieſer Mendelsſohn noch lebe, daß er ein Jude ſey, auf den die ganze juͤdiſche Nation ſehr ſtolz waͤre, und daß Reiſers Vater ihn ſelbſt in Pyrmont geſehen habe, und wie er ausſaͤhe, u. ſ. w. dieß brachte in Reiſers Ideenzuſtande auf einmal eine große Veraͤnderung hervor — ſeine Vorſtellungen vom Alten und Neuen, Ge¬
gen¬
<TEI><text><body><p><pbfacs="#f0202"n="192"/>
lichen, <hirendition="#fr">wenigſtens keinem noch lebenden<lb/>
Sterblichen</hi> zutrauete. —</p><lb/><p>Ueberhaupt war es ihm noch lange nachher<lb/>
immer eine ſonderbare Idee, wenn er hoͤrte, daß<lb/>
die Perſonen, die irgend ein beruͤhmtes Werk<lb/>
geſchrieben hatten, <hirendition="#fr">noch lebten</hi>, und alſo aßen,<lb/>
tranken, und ſchliefen, wie er. —</p><lb/><p>Da er in ſeinem ſechszehnten Jahre zum er¬<lb/>ſtenmale Moſes Mendelſohns Schriften laß, ſo<lb/>
kam der Nahme, der alte Homerskopf auf dem<lb/>
Titel, alles zuſammen, um eine ſonderbare Taͤu¬<lb/>ſchung bei ihm hervorzubringen, als ob dieſer<lb/>
Moſes Mendelſohn irgend ein alter <hirendition="#fr">Weiſer</hi>ſey,<lb/>
der vor Jahrhunderten gelebt haͤtte, und deſſen<lb/>
Schriften nun etwa ins Deutſche uͤberſetzt waͤ¬<lb/>
ren — er trug ſich lange mit dieſem Wahn herum,<lb/>
bis er einmal zufaͤlliger Weiſe von ſeinem Vater<lb/>
hoͤrte, daß dieſer Mendelsſohn noch lebe, daß er<lb/>
ein Jude ſey, auf den die ganze juͤdiſche Nation<lb/>ſehr ſtolz waͤre, und daß Reiſers Vater ihn ſelbſt<lb/>
in Pyrmont geſehen habe, und wie er ausſaͤhe,<lb/>
u. ſ. w. dieß brachte in Reiſers Ideenzuſtande<lb/>
auf einmal eine große Veraͤnderung hervor —<lb/>ſeine Vorſtellungen vom Alten und Neuen, Ge¬<lb/><fwplace="bottom"type="catch">gen¬<lb/></fw></p></body></text></TEI>
[192/0202]
lichen, wenigſtens keinem noch lebenden
Sterblichen zutrauete. —
Ueberhaupt war es ihm noch lange nachher
immer eine ſonderbare Idee, wenn er hoͤrte, daß
die Perſonen, die irgend ein beruͤhmtes Werk
geſchrieben hatten, noch lebten, und alſo aßen,
tranken, und ſchliefen, wie er. —
Da er in ſeinem ſechszehnten Jahre zum er¬
ſtenmale Moſes Mendelſohns Schriften laß, ſo
kam der Nahme, der alte Homerskopf auf dem
Titel, alles zuſammen, um eine ſonderbare Taͤu¬
ſchung bei ihm hervorzubringen, als ob dieſer
Moſes Mendelſohn irgend ein alter Weiſer ſey,
der vor Jahrhunderten gelebt haͤtte, und deſſen
Schriften nun etwa ins Deutſche uͤberſetzt waͤ¬
ren — er trug ſich lange mit dieſem Wahn herum,
bis er einmal zufaͤlliger Weiſe von ſeinem Vater
hoͤrte, daß dieſer Mendelsſohn noch lebe, daß er
ein Jude ſey, auf den die ganze juͤdiſche Nation
ſehr ſtolz waͤre, und daß Reiſers Vater ihn ſelbſt
in Pyrmont geſehen habe, und wie er ausſaͤhe,
u. ſ. w. dieß brachte in Reiſers Ideenzuſtande
auf einmal eine große Veraͤnderung hervor —
ſeine Vorſtellungen vom Alten und Neuen, Ge¬
gen¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/202>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.