Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

Bild:
<< vorherige Seite

denken an Philipp Reisern, und weil doch auch
der Sohn des Kantors, sein ehemaliger Feind,
anfing sein Freund zu werden, milderte diß schon
seine bittere Laune so weit, daß er am Schluß
seines Aufsatzes einlenkte, und den sanftern Em¬
pfindungen wieder Gehör gab. --

Auf die Weise hatte er nun in seinem Tage¬
buche schon verschiedene kleine Aussätze an seinen
Freund entworfen, als der Frühling wieder heran
kam, und zu Ostern die gewöhnliche öffentliche
Schulprüfung gehalten wurde, wobei er denn
auch erschien. --

Aber wie sehr wurde sein Muth niederge¬
schlagen, da er sich gegen die übrigen betrachtete,
und sich gerade unter allen am schlechtesten ge¬
kleidet sahe -- er saß da, wie verlohren; auf
ihn wurde gar keine Rücksicht genommen --
keine einzige Frage an ihn gethan. --

Den Vormittag hielt er es aus -- aber als
er den Nachmittag wieder hinging, und sich aufs
neue unter dem ihn umgebenden Haufen wie
verlohren sahe -- konnte er es nicht länger aus¬
halten -- er ging wieder fort, ehe noch die Prü¬
fung anging. --

denken an Philipp Reiſern, und weil doch auch
der Sohn des Kantors, ſein ehemaliger Feind,
anfing ſein Freund zu werden, milderte diß ſchon
ſeine bittere Laune ſo weit, daß er am Schluß
ſeines Aufſatzes einlenkte, und den ſanftern Em¬
pfindungen wieder Gehoͤr gab. —

Auf die Weiſe hatte er nun in ſeinem Tage¬
buche ſchon verſchiedene kleine Auſſaͤtze an ſeinen
Freund entworfen, als der Fruͤhling wieder heran
kam, und zu Oſtern die gewoͤhnliche oͤffentliche
Schulpruͤfung gehalten wurde, wobei er denn
auch erſchien. —

Aber wie ſehr wurde ſein Muth niederge¬
ſchlagen, da er ſich gegen die uͤbrigen betrachtete,
und ſich gerade unter allen am ſchlechteſten ge¬
kleidet ſahe — er ſaß da, wie verlohren; auf
ihn wurde gar keine Ruͤckſicht genommen —
keine einzige Frage an ihn gethan. —

Den Vormittag hielt er es aus — aber als
er den Nachmittag wieder hinging, und ſich aufs
neue unter dem ihn umgebenden Haufen wie
verlohren ſahe — konnte er es nicht laͤnger aus¬
halten — er ging wieder fort, ehe noch die Pruͤ¬
fung anging. —

<TEI>
  <text>
    <body>
      <p><pb facs="#f0072" n="62"/>
denken an Philipp Rei&#x017F;ern, und weil doch auch<lb/>
der Sohn des Kantors, &#x017F;ein ehemaliger Feind,<lb/>
anfing &#x017F;ein Freund zu werden, milderte diß &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;eine bittere Laune &#x017F;o weit, daß er am Schluß<lb/>
&#x017F;eines Auf&#x017F;atzes einlenkte, und den &#x017F;anftern Em¬<lb/>
pfindungen wieder Geho&#x0364;r gab. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Auf die Wei&#x017F;e hatte er nun in &#x017F;einem Tage¬<lb/>
buche &#x017F;chon ver&#x017F;chiedene kleine Au&#x017F;&#x017F;a&#x0364;tze an &#x017F;einen<lb/>
Freund entworfen, als der Fru&#x0364;hling wieder heran<lb/>
kam, und zu O&#x017F;tern die gewo&#x0364;hnliche o&#x0364;ffentliche<lb/>
Schulpru&#x0364;fung gehalten wurde, wobei er denn<lb/>
auch er&#x017F;chien. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Aber wie &#x017F;ehr wurde &#x017F;ein Muth niederge¬<lb/>
&#x017F;chlagen, da er &#x017F;ich gegen die u&#x0364;brigen betrachtete,<lb/>
und &#x017F;ich gerade unter allen am &#x017F;chlechte&#x017F;ten ge¬<lb/>
kleidet &#x017F;ahe &#x2014; er &#x017F;aß da, wie verlohren; auf<lb/>
ihn wurde gar keine Ru&#x0364;ck&#x017F;icht genommen &#x2014;<lb/>
keine einzige Frage an ihn gethan. &#x2014;</p><lb/>
      <p>Den Vormittag hielt er es aus &#x2014; aber als<lb/>
er den Nachmittag wieder hinging, und &#x017F;ich aufs<lb/>
neue unter dem ihn umgebenden Haufen wie<lb/>
verlohren &#x017F;ahe &#x2014; konnte er es nicht la&#x0364;nger aus¬<lb/>
halten &#x2014; er ging wieder fort, ehe noch die Pru&#x0364;¬<lb/>
fung anging. &#x2014;</p><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0072] denken an Philipp Reiſern, und weil doch auch der Sohn des Kantors, ſein ehemaliger Feind, anfing ſein Freund zu werden, milderte diß ſchon ſeine bittere Laune ſo weit, daß er am Schluß ſeines Aufſatzes einlenkte, und den ſanftern Em¬ pfindungen wieder Gehoͤr gab. — Auf die Weiſe hatte er nun in ſeinem Tage¬ buche ſchon verſchiedene kleine Auſſaͤtze an ſeinen Freund entworfen, als der Fruͤhling wieder heran kam, und zu Oſtern die gewoͤhnliche oͤffentliche Schulpruͤfung gehalten wurde, wobei er denn auch erſchien. — Aber wie ſehr wurde ſein Muth niederge¬ ſchlagen, da er ſich gegen die uͤbrigen betrachtete, und ſich gerade unter allen am ſchlechteſten ge¬ kleidet ſahe — er ſaß da, wie verlohren; auf ihn wurde gar keine Ruͤckſicht genommen — keine einzige Frage an ihn gethan. — Den Vormittag hielt er es aus — aber als er den Nachmittag wieder hinging, und ſich aufs neue unter dem ihn umgebenden Haufen wie verlohren ſahe — konnte er es nicht laͤnger aus¬ halten — er ging wieder fort, ehe noch die Pruͤ¬ fung anging. —

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/72
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/72>, abgerufen am 09.11.2024.