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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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Staubregen seine Kleider durchnetzte -- als er
in den Wald kam, schnitt er sich einen Dorn¬
stock, und wanderte weiter fort -- da kam er an
ein Dorf, und machte sich eben allerlei süße Vor¬
stellungen von den stillen Frieden, der in diesen
ländlichen Hütten herrschte, als er sich in einem
der Häuser ein paar Leute, die wahrscheinlich
Mann und Frau waren, zanken, und ein Kind
schreien hörte. --

Also ist überall Unmuth und Mißvergnügen
und Unzufriedenheit, wo Menschen sind, dachte
er, und setzte seinen Stab weiter fort -- Die
einsamste Wüste wurde ihm wünschenswerth --
und da ihn endlich auch in dieser die tödtliche
Langeweile quälte, so blieb das Grab sein letzter
Wunsch -- und weil er nun nicht einsah, warum
er sich die Jahre seines Lebens hindurch, in der
Welt von allen Seiten hatte müssen drücken,
stoßen, und wegdrängen lassen, so zweifelte er
endlich an einer vernünftigen Ursach seines Da¬
seyns -- sein Daseyn schien ihm ein Werk des
schrecklichen blinden Ohngefährs. --

Es wurde früher wie gewöhnlich Abend,
weil der Himmel trübe war, und es stärker an

Staubregen ſeine Kleider durchnetzte — als er
in den Wald kam, ſchnitt er ſich einen Dorn¬
ſtock, und wanderte weiter fort — da kam er an
ein Dorf, und machte ſich eben allerlei ſuͤße Vor¬
ſtellungen von den ſtillen Frieden, der in dieſen
laͤndlichen Huͤtten herrſchte, als er ſich in einem
der Haͤuſer ein paar Leute, die wahrſcheinlich
Mann und Frau waren, zanken, und ein Kind
ſchreien hoͤrte. —

Alſo iſt uͤberall Unmuth und Mißvergnuͤgen
und Unzufriedenheit, wo Menſchen ſind, dachte
er, und ſetzte ſeinen Stab weiter fort — Die
einſamſte Wuͤſte wurde ihm wuͤnſchenswerth —
und da ihn endlich auch in dieſer die toͤdtliche
Langeweile quaͤlte, ſo blieb das Grab ſein letzter
Wunſch — und weil er nun nicht einſah, warum
er ſich die Jahre ſeines Lebens hindurch, in der
Welt von allen Seiten hatte muͤſſen druͤcken,
ſtoßen, und wegdraͤngen laſſen, ſo zweifelte er
endlich an einer vernuͤnftigen Urſach ſeines Da¬
ſeyns — ſein Daſeyn ſchien ihm ein Werk des
ſchrecklichen blinden Ohngefaͤhrs. —

Es wurde fruͤher wie gewoͤhnlich Abend,
weil der Himmel truͤbe war, und es ſtaͤrker an

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[68/0078] Staubregen ſeine Kleider durchnetzte — als er in den Wald kam, ſchnitt er ſich einen Dorn¬ ſtock, und wanderte weiter fort — da kam er an ein Dorf, und machte ſich eben allerlei ſuͤße Vor¬ ſtellungen von den ſtillen Frieden, der in dieſen laͤndlichen Huͤtten herrſchte, als er ſich in einem der Haͤuſer ein paar Leute, die wahrſcheinlich Mann und Frau waren, zanken, und ein Kind ſchreien hoͤrte. — Alſo iſt uͤberall Unmuth und Mißvergnuͤgen und Unzufriedenheit, wo Menſchen ſind, dachte er, und ſetzte ſeinen Stab weiter fort — Die einſamſte Wuͤſte wurde ihm wuͤnſchenswerth — und da ihn endlich auch in dieſer die toͤdtliche Langeweile quaͤlte, ſo blieb das Grab ſein letzter Wunſch — und weil er nun nicht einſah, warum er ſich die Jahre ſeines Lebens hindurch, in der Welt von allen Seiten hatte muͤſſen druͤcken, ſtoßen, und wegdraͤngen laſſen, ſo zweifelte er endlich an einer vernuͤnftigen Urſach ſeines Da¬ ſeyns — ſein Daſeyn ſchien ihm ein Werk des ſchrecklichen blinden Ohngefaͤhrs. — Es wurde fruͤher wie gewoͤhnlich Abend, weil der Himmel truͤbe war, und es ſtaͤrker an

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/78>, abgerufen am 23.11.2024.