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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

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rern Tagen befand, konnte durch keinen Reiz
einer angespannten erhitzten Einbildungskraft
mehr übertragen werden, sondern der Gedanke
der gänzlichen Hülflosigkeit ermüdete ihn mit je¬
dem Schritte noch mehr, und die Müdigkeit ver¬
mehrte wieder den Gedanken der Hülflosigkeit,
die vorzüglich aus dem Sinken seines Muthes
und aus der Erschöpfung seiner Kräfte entstand.

Sie kamen nun in die Stadt, vor einem
Bäckerhause vorbei, wo auf dem Laden eine
Menge Brodte aufgethürmt lagen: Reiser wollte
sich eins darunter aussuchen, und als er es
kaum berühret hatte, schoß beinahe der ganze
Haufe von Brodten auf die Straße herunter. --
Die Leute im Hause fingen einen großen Lärm
an, und Reiser mußte mit seinem Gefährten
sich nur schnell um eine Ecke wenden, um den
Schmähungen zu entgehen. So verfolgte Rei¬
sern sein widriges Geschick bis aufs äußerste.

Sie kehrten nun in einem Gasthofe ein, wo
Reiser dem Durst nicht widerstehen konnte und
für die letzten neun Pfennige, die er noch übrig
hatte, sich Bier geben ließ. Für diesen einen
Trunk hatte er also sein Schlafgeld auf noch

rern Tagen befand, konnte durch keinen Reiz
einer angeſpannten erhitzten Einbildungskraft
mehr uͤbertragen werden, ſondern der Gedanke
der gaͤnzlichen Huͤlfloſigkeit ermuͤdete ihn mit je¬
dem Schritte noch mehr, und die Muͤdigkeit ver¬
mehrte wieder den Gedanken der Huͤlfloſigkeit,
die vorzuͤglich aus dem Sinken ſeines Muthes
und aus der Erſchoͤpfung ſeiner Kraͤfte entſtand.

Sie kamen nun in die Stadt, vor einem
Baͤckerhauſe vorbei, wo auf dem Laden eine
Menge Brodte aufgethuͤrmt lagen: Reiſer wollte
ſich eins darunter ausſuchen, und als er es
kaum beruͤhret hatte, ſchoß beinahe der ganze
Haufe von Brodten auf die Straße herunter. —
Die Leute im Hauſe fingen einen großen Laͤrm
an, und Reiſer mußte mit ſeinem Gefaͤhrten
ſich nur ſchnell um eine Ecke wenden, um den
Schmaͤhungen zu entgehen. So verfolgte Rei¬
ſern ſein widriges Geſchick bis aufs aͤußerſte.

Sie kehrten nun in einem Gaſthofe ein, wo
Reiſer dem Durſt nicht widerſtehen konnte und
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hatte, ſich Bier geben ließ. Fuͤr dieſen einen
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[95/0109] rern Tagen befand, konnte durch keinen Reiz einer angeſpannten erhitzten Einbildungskraft mehr uͤbertragen werden, ſondern der Gedanke der gaͤnzlichen Huͤlfloſigkeit ermuͤdete ihn mit je¬ dem Schritte noch mehr, und die Muͤdigkeit ver¬ mehrte wieder den Gedanken der Huͤlfloſigkeit, die vorzuͤglich aus dem Sinken ſeines Muthes und aus der Erſchoͤpfung ſeiner Kraͤfte entſtand. Sie kamen nun in die Stadt, vor einem Baͤckerhauſe vorbei, wo auf dem Laden eine Menge Brodte aufgethuͤrmt lagen: Reiſer wollte ſich eins darunter ausſuchen, und als er es kaum beruͤhret hatte, ſchoß beinahe der ganze Haufe von Brodten auf die Straße herunter. — Die Leute im Hauſe fingen einen großen Laͤrm an, und Reiſer mußte mit ſeinem Gefaͤhrten ſich nur ſchnell um eine Ecke wenden, um den Schmaͤhungen zu entgehen. So verfolgte Rei¬ ſern ſein widriges Geſchick bis aufs aͤußerſte. Sie kehrten nun in einem Gaſthofe ein, wo Reiſer dem Durſt nicht widerſtehen konnte und fuͤr die letzten neun Pfennige, die er noch uͤbrig hatte, ſich Bier geben ließ. Fuͤr dieſen einen Trunk hatte er alſo ſein Schlafgeld auf noch

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/109>, abgerufen am 21.11.2024.