Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

Denn das, was in der Einbildungskraft
keinen Anstoß gelitten hatte, sollte nun zur
Wirklichkeit kommen, und mit Hindernissen käm¬
pfen, die sich schon im Voraus darstellten. Es
däuchte Reisern nun viel leichter, mit schönen
und angenehmen Aussichten in die weite Welt zu
wandern, als an Ort und Stelle selbst zu seyn,
und diese Aussichten wahr zu machen.

Drum hätte sich nun Reiser gerne das Ziel
noch weiter weggewünscht, wenn er im Stande
gewesen wäre, seine Wanderung weiter fortzu¬
setzen. Eine traurige Bemerkung aber, die er an
seinen Schuhen machte, deren Verlust für ihn,
in den Umständen, worin er sich befand, uner¬
setzlich war, hemmte auf einmal alle seine wei¬
ten Aussichten wieder, und machte, daß er
ernsthaft über seinen Zustand nachdachte.

Es ist merkwürdig, wie die verächtlichsten
wirklichen Dinge, auf die Weise in die glän¬
zendsten Gebäude der Phantasie eingreifen und
sie zerstören können, und wie auf eben diesen
verächtlichen Dingen eines Menschen Schicksal
beruhen kann.

C 4

Denn das, was in der Einbildungskraft
keinen Anſtoß gelitten hatte, ſollte nun zur
Wirklichkeit kommen, und mit Hinderniſſen kaͤm¬
pfen, die ſich ſchon im Voraus darſtellten. Es
daͤuchte Reiſern nun viel leichter, mit ſchoͤnen
und angenehmen Ausſichten in die weite Welt zu
wandern, als an Ort und Stelle ſelbſt zu ſeyn,
und dieſe Ausſichten wahr zu machen.

Drum haͤtte ſich nun Reiſer gerne das Ziel
noch weiter weggewuͤnſcht, wenn er im Stande
geweſen waͤre, ſeine Wanderung weiter fortzu¬
ſetzen. Eine traurige Bemerkung aber, die er an
ſeinen Schuhen machte, deren Verluſt fuͤr ihn,
in den Umſtaͤnden, worin er ſich befand, uner¬
ſetzlich war, hemmte auf einmal alle ſeine wei¬
ten Ausſichten wieder, und machte, daß er
ernſthaft uͤber ſeinen Zuſtand nachdachte.

Es iſt merkwuͤrdig, wie die veraͤchtlichſten
wirklichen Dinge, auf die Weiſe in die glaͤn¬
zendſten Gebaͤude der Phantaſie eingreifen und
ſie zerſtoͤren koͤnnen, und wie auf eben dieſen
veraͤchtlichen Dingen eines Menſchen Schickſal
beruhen kann.

C 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0053" n="39"/>
      <p>Denn das, was in der Einbildungskraft<lb/>
keinen An&#x017F;toß gelitten hatte, &#x017F;ollte nun zur<lb/>
Wirklichkeit kommen, und mit Hinderni&#x017F;&#x017F;en ka&#x0364;<lb/>
pfen, die &#x017F;ich &#x017F;chon im Voraus dar&#x017F;tellten. Es<lb/>
da&#x0364;uchte Rei&#x017F;ern nun viel leichter, mit &#x017F;cho&#x0364;nen<lb/>
und angenehmen Aus&#x017F;ichten in die weite Welt zu<lb/>
wandern, als an Ort und Stelle &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;eyn,<lb/>
und die&#x017F;e Aus&#x017F;ichten wahr zu machen.</p><lb/>
      <p>Drum ha&#x0364;tte &#x017F;ich nun Rei&#x017F;er gerne das Ziel<lb/>
noch weiter weggewu&#x0364;n&#x017F;cht, wenn er im Stande<lb/>
gewe&#x017F;en wa&#x0364;re, &#x017F;eine Wanderung weiter fortzu¬<lb/>
&#x017F;etzen. Eine traurige Bemerkung aber, die er an<lb/>
&#x017F;einen Schuhen machte, deren Verlu&#x017F;t fu&#x0364;r ihn,<lb/>
in den Um&#x017F;ta&#x0364;nden, worin er &#x017F;ich befand, uner¬<lb/>
&#x017F;etzlich war, hemmte auf einmal alle &#x017F;eine wei¬<lb/>
ten Aus&#x017F;ichten wieder, und machte, daß er<lb/>
ern&#x017F;thaft u&#x0364;ber &#x017F;einen Zu&#x017F;tand nachdachte.</p><lb/>
      <p>Es i&#x017F;t merkwu&#x0364;rdig, wie die vera&#x0364;chtlich&#x017F;ten<lb/>
wirklichen Dinge, auf die Wei&#x017F;e in die gla&#x0364;<lb/>
zend&#x017F;ten Geba&#x0364;ude der Phanta&#x017F;ie eingreifen und<lb/>
&#x017F;ie zer&#x017F;to&#x0364;ren ko&#x0364;nnen, und wie auf eben die&#x017F;en<lb/>
vera&#x0364;chtlichen Dingen eines Men&#x017F;chen Schick&#x017F;al<lb/>
beruhen kann.</p><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">C 4<lb/></fw>
    </body>
  </text>
</TEI>
[39/0053] Denn das, was in der Einbildungskraft keinen Anſtoß gelitten hatte, ſollte nun zur Wirklichkeit kommen, und mit Hinderniſſen kaͤm¬ pfen, die ſich ſchon im Voraus darſtellten. Es daͤuchte Reiſern nun viel leichter, mit ſchoͤnen und angenehmen Ausſichten in die weite Welt zu wandern, als an Ort und Stelle ſelbſt zu ſeyn, und dieſe Ausſichten wahr zu machen. Drum haͤtte ſich nun Reiſer gerne das Ziel noch weiter weggewuͤnſcht, wenn er im Stande geweſen waͤre, ſeine Wanderung weiter fortzu¬ ſetzen. Eine traurige Bemerkung aber, die er an ſeinen Schuhen machte, deren Verluſt fuͤr ihn, in den Umſtaͤnden, worin er ſich befand, uner¬ ſetzlich war, hemmte auf einmal alle ſeine wei¬ ten Ausſichten wieder, und machte, daß er ernſthaft uͤber ſeinen Zuſtand nachdachte. Es iſt merkwuͤrdig, wie die veraͤchtlichſten wirklichen Dinge, auf die Weiſe in die glaͤn¬ zendſten Gebaͤude der Phantaſie eingreifen und ſie zerſtoͤren koͤnnen, und wie auf eben dieſen veraͤchtlichen Dingen eines Menſchen Schickſal beruhen kann. C 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/53
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 4. Berlin, 1790, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser04_1790/53>, abgerufen am 21.11.2024.