ausser denen ihm vermeintlich angewiesenen Gränzen, einen Schritt in das Gebiet der Theo- logie und Kirchen-Geschichte erlaubte. Das Recht, zu prüfen und das Gute zu behalten, ist nicht nur ein allgemeines und unveräusserliches Menschen-Recht, sondern auch das edelste der protestantischen Kirchen-Rechte, und hängt mit der Pflicht eines diese Vorzüge nach Würden schätzenden gewissenhaften Staatsmanns unzer- trennlich zusammen.
Diese Stimmung und Anforderung wurde in mir noch lebendiger, da ich in der Lesung des von dem vortreflichen, eben so gelehrten als erfahrnen Veit Ludwig von Seckendorf be- reits im Jahr 1685. geschriebenen Christen- Staats*) auf folgende merkwürdige Stelle stiess: "Die Betrachtung des Standes der Obrig- keit ist eine schwere und gefährliche Materie; theils dass niemand, nach menschlicher ange- bohrner Unart, unlieber die Wahrheit höret, als wer Macht hat dieselbe zu verwerfen, und denjenigen zu beleidigen der sie fürbringet; theils weil man auf der andern Seite sich ver- sehen muss, dass aus offenbarer, obwohl treu-
*) S. 225.
ausser denen ihm vermeintlich angewiesenen Gränzen, einen Schritt in das Gebiet der Theo- logie und Kirchen-Geschichte erlaubte. Das Recht, zu prüfen und das Gute zu behalten, ist nicht nur ein allgemeines und unveräusserliches Menschen-Recht, sondern auch das edelste der protestantischen Kirchen-Rechte, und hängt mit der Pflicht eines diese Vorzüge nach Würden schätzenden gewiſsenhaften Staatsmanns unzer- trennlich zusammen.
Diese Stimmung und Anforderung wurde in mir noch lebendiger, da ich in der Lesung des von dem vortreflichen, eben so gelehrten als erfahrnen Veit Ludwig von Seckendorf be- reits im Jahr 1685. geschriebenen Christen- Staats*) auf folgende merkwürdige Stelle stieſs: „Die Betrachtung des Standes der Obrig- keit ist eine schwere und gefährliche Materie; theils daſs niemand, nach menschlicher ange- bohrner Unart, unlieber die Wahrheit höret, als wer Macht hat dieselbe zu verwerfen, und denjenigen zu beleidigen der sie fürbringet; theils weil man auf der andern Seite sich ver- sehen muſs, daſs aus offenbarer, obwohl treu-
*) S. 225.
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ausser denen ihm vermeintlich angewiesenen
Gränzen, einen Schritt in das Gebiet der Theo-
logie und Kirchen-Geschichte erlaubte. Das
Recht, zu prüfen und das Gute zu behalten, ist
nicht nur ein allgemeines und unveräusserliches
Menschen-Recht, sondern auch das edelste der
protestantischen Kirchen-Rechte, und hängt mit
der Pflicht eines diese Vorzüge nach Würden
schätzenden gewiſsenhaften Staatsmanns unzer-
trennlich zusammen.
Diese Stimmung und Anforderung wurde in
mir noch lebendiger, da ich in der Lesung des
von dem vortreflichen, eben so gelehrten als
erfahrnen Veit Ludwig von Seckendorf be-
reits im Jahr 1685. geschriebenen Christen-
Staats *) auf folgende merkwürdige Stelle
stieſs: „Die Betrachtung des Standes der Obrig-
keit ist eine schwere und gefährliche Materie;
theils daſs niemand, nach menschlicher ange-
bohrner Unart, unlieber die Wahrheit höret,
als wer Macht hat dieselbe zu verwerfen, und
denjenigen zu beleidigen der sie fürbringet;
theils weil man auf der andern Seite sich ver-
sehen muſs, daſs aus offenbarer, obwohl treu-
*) S. 225.
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Moser, Friedrich Carl von: Politische Wahrheiten. Bd. 2. Zürich, 1796, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moser_politische02_1796/320>, abgerufen am 21.11.2024.
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