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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Und wenn sie Strömen gleich die Augen überschwemmen/
So bilden sie nicht ab das innre Seelen-Leid.
Timanthes muß verhüllt den Agamemnon mahlen/
Wenn seine Tochter wird zum Opffer abgeschlacht.
Kein Pinsel gibt an Tag der heissen Liebe Strahlen
Die in der Eltern Hertz vor ihre Kinder wacht.
Die Güter des Gelücks sind schmertzlich zu verlieren
Stand/ Hoheit/ Ehre/ Ruhm schätzt man dem Leben gleich:
Doch seynd die Regungen weit hefftiger zu spüren/
Wenn unser Fleisch und Blut zertrennt deß Todes Streich.
Auf die man hat gebaut/ daß sie deß Stammes Erben/
Deß Namens Ewigkeit Fortpflantzer solten seyn/
Seh'n in der ersten Blüth/ im Lentz der Jahre sterben/
Bringt nur gedoppelt Leid und ungemeine Pein.
Und zwar/ Wol-Edler Herr/ was mehr den Schmertz ergrimmet/
Daß itzt in frembdem Sand sein Sohn erblassen muß/
Daß er abwesende den herben Abschied nimmet/
Und nicht auß Liebes-Pflicht ertheilt den letzten Kuß:
Daß nicht die Vater-Hand die Augen kan zudrücken/
Und biß ins schwartze Grab nachruffen: Ruhe wol!
Gehab dich ewig wol/ mein Hoffen und Erquicken!
Ach daß ich/ liebster Sohn/ dir nicht bald folgen soll!
Denn tritt auch die Vernunfft dem Schmertzen an die Seite/
Stellt seine Grösse für und zeiget den Verlust/
Bemüht sich/ wie sie siegt bey solchem Zweiffel-Streite/
Und ob sie Rath und Trost kan reissen auß der Brust.
Bevor wenn sie die Lieb als Beystand ihr erwehlet
Und deß verblaßten Bild tieff in das Hertze drückt.
Wenn sie die süsse Zeit und Freuden-Tag' erzehlet/
Da der geliebte Sohn das gantze Hauß erquickt.
Wie er so embsig war der Tugend nachzugehen/
Wie er durch Gottesfurcht den Grund darzu gelegt/
Und glaubte/ daß der Schatz auß den gestirnten Höhen
Unschätzbaren Gewinn die Zeit des Lebens trägt.
Wie er von guter Art und angenehmen Sitten/
Gleich einem schönen Baum behäglich hat geblüht/
Dem Guten nachgelebt/ den Lastern widerstritten/
Und in der Handlung sich mit grosser Treu bemüht.
Diß sind itzt der Vernunfft sehr scharff-gespitzte Pfeile/
Womit sie/ werther Herr/ sein Hertz zu theilen denckt:
Hier
Leichen-Gedichte.
Und wenn ſie Stroͤmen gleich die Augen uͤberſchwemmen/
So bilden ſie nicht ab das innre Seelen-Leid.
Timanthes muß verhuͤllt den Agamemnon mahlen/
Wenn ſeine Tochter wird zum Opffer abgeſchlacht.
Kein Pinſel gibt an Tag der heiſſen Liebe Strahlen
Die in der Eltern Hertz vor ihre Kinder wacht.
Die Guͤter des Geluͤcks ſind ſchmertzlich zu verlieren
Stand/ Hoheit/ Ehre/ Ruhm ſchaͤtzt man dem Leben gleich:
Doch ſeynd die Regungen weit hefftiger zu ſpuͤren/
Wenn unſer Fleiſch und Blut zertrennt deß Todes Streich.
Auf die man hat gebaut/ daß ſie deß Stammes Erben/
Deß Namens Ewigkeit Fortpflantzer ſolten ſeyn/
Seh’n in der erſten Bluͤth/ im Lentz der Jahre ſterben/
Bringt nur gedoppelt Leid und ungemeine Pein.
Und zwar/ Wol-Edler Herr/ was mehr den Schmertz ergrimmet/
Daß itzt in frembdem Sand ſein Sohn erblaſſen muß/
Daß er abweſende den herben Abſchied nimmet/
Und nicht auß Liebes-Pflicht ertheilt den letzten Kuß:
Daß nicht die Vater-Hand die Augen kan zudruͤcken/
Und biß ins ſchwartze Grab nachruffen: Ruhe wol!
Gehab dich ewig wol/ mein Hoffen und Erquicken!
Ach daß ich/ liebſter Sohn/ dir nicht bald folgen ſoll!
Denn tritt auch die Vernunfft dem Schmertzen an die Seite/
Stellt ſeine Groͤſſe fuͤr und zeiget den Verluſt/
Bemuͤht ſich/ wie ſie ſiegt bey ſolchem Zweiffel-Streite/
Und ob ſie Rath und Troſt kan reiſſen auß der Bruſt.
Bevor wenn ſie die Lieb als Beyſtand ihr erwehlet
Und deß verblaßten Bild tieff in das Hertze druͤckt.
Wenn ſie die ſuͤſſe Zeit und Freuden-Tag’ erzehlet/
Da der geliebte Sohn das gantze Hauß erquickt.
Wie er ſo embſig war der Tugend nachzugehen/
Wie er durch Gottesfurcht den Grund darzu gelegt/
Und glaubte/ daß der Schatz auß den geſtirnten Hoͤhen
Unſchaͤtzbaren Gewinn die Zeit des Lebens traͤgt.
Wie er von guter Art und angenehmen Sitten/
Gleich einem ſchoͤnen Baum behaͤglich hat gebluͤht/
Dem Guten nachgelebt/ den Laſtern widerſtritten/
Und in der Handlung ſich mit groſſer Treu bemuͤht.
Diß ſind itzt der Vernunfft ſehr ſcharff-geſpitzte Pfeile/
Womit ſie/ werther Herr/ ſein Hertz zu theilen denckt:
Hier
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[256/0488] Leichen-Gedichte. Und wenn ſie Stroͤmen gleich die Augen uͤberſchwemmen/ So bilden ſie nicht ab das innre Seelen-Leid. Timanthes muß verhuͤllt den Agamemnon mahlen/ Wenn ſeine Tochter wird zum Opffer abgeſchlacht. Kein Pinſel gibt an Tag der heiſſen Liebe Strahlen Die in der Eltern Hertz vor ihre Kinder wacht. Die Guͤter des Geluͤcks ſind ſchmertzlich zu verlieren Stand/ Hoheit/ Ehre/ Ruhm ſchaͤtzt man dem Leben gleich: Doch ſeynd die Regungen weit hefftiger zu ſpuͤren/ Wenn unſer Fleiſch und Blut zertrennt deß Todes Streich. Auf die man hat gebaut/ daß ſie deß Stammes Erben/ Deß Namens Ewigkeit Fortpflantzer ſolten ſeyn/ Seh’n in der erſten Bluͤth/ im Lentz der Jahre ſterben/ Bringt nur gedoppelt Leid und ungemeine Pein. Und zwar/ Wol-Edler Herr/ was mehr den Schmertz ergrimmet/ Daß itzt in frembdem Sand ſein Sohn erblaſſen muß/ Daß er abweſende den herben Abſchied nimmet/ Und nicht auß Liebes-Pflicht ertheilt den letzten Kuß: Daß nicht die Vater-Hand die Augen kan zudruͤcken/ Und biß ins ſchwartze Grab nachruffen: Ruhe wol! Gehab dich ewig wol/ mein Hoffen und Erquicken! Ach daß ich/ liebſter Sohn/ dir nicht bald folgen ſoll! Denn tritt auch die Vernunfft dem Schmertzen an die Seite/ Stellt ſeine Groͤſſe fuͤr und zeiget den Verluſt/ Bemuͤht ſich/ wie ſie ſiegt bey ſolchem Zweiffel-Streite/ Und ob ſie Rath und Troſt kan reiſſen auß der Bruſt. Bevor wenn ſie die Lieb als Beyſtand ihr erwehlet Und deß verblaßten Bild tieff in das Hertze druͤckt. Wenn ſie die ſuͤſſe Zeit und Freuden-Tag’ erzehlet/ Da der geliebte Sohn das gantze Hauß erquickt. Wie er ſo embſig war der Tugend nachzugehen/ Wie er durch Gottesfurcht den Grund darzu gelegt/ Und glaubte/ daß der Schatz auß den geſtirnten Hoͤhen Unſchaͤtzbaren Gewinn die Zeit des Lebens traͤgt. Wie er von guter Art und angenehmen Sitten/ Gleich einem ſchoͤnen Baum behaͤglich hat gebluͤht/ Dem Guten nachgelebt/ den Laſtern widerſtritten/ Und in der Handlung ſich mit groſſer Treu bemuͤht. Diß ſind itzt der Vernunfft ſehr ſcharff-geſpitzte Pfeile/ Womit ſie/ werther Herr/ ſein Hertz zu theilen denckt: Hier

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/488>, abgerufen am 22.11.2024.