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Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.

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Leichen-Gedichte.
Allein du wustest nicht/ wie Gottes Wege gehen/
Der über uns so bald gebeuth/
Der abgemessen unsre Zeit
Und schon das Ziel gesetzt in den gestirnten Höhen.
Dein Name konte dir diß deutlich bilden ein/
Daß Menschen auff der Welt als wie die Vogel seyn.
Menn jetzt der Steller ihm hat seinen Herd gebauet
Mit grünen Rasen rings umbsteckt/
Und sich mit breiten Zweigen deckt
Und listig durch die Nacht deß frischen Laubes schauet/
So lockt er durch die Pfeiff und durch den Schreyer an/
Ob er das albre Volck ins Netze bringen kan.
Wird nun der Vogel sich frisch in die Lüffte schwingen/
So ist sein Berg-Flug gantz beglückt/
Und er dem Netz und Garn entrückt:
Hört aber er bethört die in dem Kefich singen/
Und nahet sich herzu/ so fänget ihn der Strick
Denn würgt der Vogler ihn in einem Augenblick.
Nicht anders gehts mit uns/ der Tod legt seine Garne/
Zeigt uns der Wollust Honigseim/
Den Reichthum/ unsrer Seelen Leim
Und daß der arme Mensch viel Geld und Gut erarne/
So braucht er Schleiff und Strick/ Schlag-Kasten/ Korb
und Ruth

Biß daß er hat umbzirckt das sichre Fleisch und Blnt.
Klebt nun den Vögeln gleich der Mensch an Sünden-Beeren/
Wenn die Begierden Körn er streun/
Und Lüste seine Seel erfreun/
So wird er sich gewiß deß Fanges nicht entwehren;
Versuchung bindet ihn daß er geknüpffet hängt
Und denn nur gar zu spät an Buß und Reu gedenckt.
Hingegen wie sich kan ein Vogel auch entreissen?
Wenn er die freyen Lüffte sucht
Durch seiner Flügel schnelle Flucht/
Und ihm entnimmt Gefahr sein embsiges befleissen.
Weil die Erfahrung lehrt daß an die blaue Höh.
Mit seinem Garn und Netz kein Vogelsteller geh.
So wenn der innre Mensch sich durch deß Geistes Schwingen
Hebt von der Erden Dampff und Plan/
Schaut alles diß verächtlich an.
Was
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Leichen-Gedichte.
Allein du wuſteſt nicht/ wie Gottes Wege gehen/
Der uͤber uns ſo bald gebeuth/
Der abgemeſſen unſre Zeit
Und ſchon das Ziel geſetzt in den geſtirnten Hoͤhen.
Dein Name konte dir diß deutlich bilden ein/
Daß Menſchen auff der Welt als wie die Vogel ſeyn.
Menn jetzt der Steller ihm hat ſeinen Herd gebauet
Mit gruͤnen Raſen rings umbſteckt/
Und ſich mit breiten Zweigen deckt
Und liſtig durch die Nacht deß friſchen Laubes ſchauet/
So lockt er durch die Pfeiff und durch den Schreyer an/
Ob er das albre Volck ins Netze bringen kan.
Wird nun der Vogel ſich friſch in die Luͤffte ſchwingen/
So iſt ſein Berg-Flug gantz begluͤckt/
Und er dem Netz und Garn entruͤckt:
Hoͤrt aber er bethoͤrt die in dem Kefich ſingen/
Und nahet ſich herzu/ ſo faͤnget ihn der Strick
Denn wuͤrgt der Vogler ihn in einem Augenblick.
Nicht anders gehts mit uns/ der Tod legt ſeine Garne/
Zeigt uns der Wolluſt Honigſeim/
Den Reichthum/ unſrer Seelen Leim
Und daß der arme Menſch viel Geld und Gut erarne/
So braucht er Schleiff und Strick/ Schlag-Kaſten/ Korb
und Ruth

Biß daß er hat umbzirckt das ſichre Fleiſch und Blnt.
Klebt nun den Voͤgeln gleich der Menſch an Suͤnden-Beeren/
Wenn die Begierden Koͤrn er ſtreun/
Und Luͤſte ſeine Seel erfreun/
So wird er ſich gewiß deß Fanges nicht entwehren;
Verſuchung bindet ihn daß er geknuͤpffet haͤngt
Und denn nur gar zu ſpaͤt an Buß und Reu gedenckt.
Hingegen wie ſich kan ein Vogel auch entreiſſen?
Wenn er die freyen Lüffte ſucht
Durch ſeiner Fluͤgel ſchnelle Flucht/
Und ihm entnimmt Gefahr ſein embſiges befleiſſen.
Weil die Erfahrung lehrt daß an die blaue Hoͤh.
Mit ſeinem Garn und Netz kein Vogelſteller geh.
So wenn der innre Menſch ſich durch deß Geiſtes Schwingen
Hebt von der Erden Dampff und Plan/
Schaut alles diß veraͤchtlich an.
Was
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[361/0593] Leichen-Gedichte. Allein du wuſteſt nicht/ wie Gottes Wege gehen/ Der uͤber uns ſo bald gebeuth/ Der abgemeſſen unſre Zeit Und ſchon das Ziel geſetzt in den geſtirnten Hoͤhen. Dein Name konte dir diß deutlich bilden ein/ Daß Menſchen auff der Welt als wie die Vogel ſeyn. Menn jetzt der Steller ihm hat ſeinen Herd gebauet Mit gruͤnen Raſen rings umbſteckt/ Und ſich mit breiten Zweigen deckt Und liſtig durch die Nacht deß friſchen Laubes ſchauet/ So lockt er durch die Pfeiff und durch den Schreyer an/ Ob er das albre Volck ins Netze bringen kan. Wird nun der Vogel ſich friſch in die Luͤffte ſchwingen/ So iſt ſein Berg-Flug gantz begluͤckt/ Und er dem Netz und Garn entruͤckt: Hoͤrt aber er bethoͤrt die in dem Kefich ſingen/ Und nahet ſich herzu/ ſo faͤnget ihn der Strick Denn wuͤrgt der Vogler ihn in einem Augenblick. Nicht anders gehts mit uns/ der Tod legt ſeine Garne/ Zeigt uns der Wolluſt Honigſeim/ Den Reichthum/ unſrer Seelen Leim Und daß der arme Menſch viel Geld und Gut erarne/ So braucht er Schleiff und Strick/ Schlag-Kaſten/ Korb und Ruth Biß daß er hat umbzirckt das ſichre Fleiſch und Blnt. Klebt nun den Voͤgeln gleich der Menſch an Suͤnden-Beeren/ Wenn die Begierden Koͤrn er ſtreun/ Und Luͤſte ſeine Seel erfreun/ So wird er ſich gewiß deß Fanges nicht entwehren; Verſuchung bindet ihn daß er geknuͤpffet haͤngt Und denn nur gar zu ſpaͤt an Buß und Reu gedenckt. Hingegen wie ſich kan ein Vogel auch entreiſſen? Wenn er die freyen Lüffte ſucht Durch ſeiner Fluͤgel ſchnelle Flucht/ Und ihm entnimmt Gefahr ſein embſiges befleiſſen. Weil die Erfahrung lehrt daß an die blaue Hoͤh. Mit ſeinem Garn und Netz kein Vogelſteller geh. So wenn der innre Menſch ſich durch deß Geiſtes Schwingen Hebt von der Erden Dampff und Plan/ Schaut alles diß veraͤchtlich an. Was Z z z 5

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Zitationshilfe: Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/593>, abgerufen am 10.06.2024.