Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686.Leichen-Gedichte. Das getreue Mutter-Hertz/ HOchedle/ jener wünscht ihm Fenster in die Hertzen/Bey Beerdigung Fr. M. M. S. g. v. S. den 10. Decembr. 1679. vorgestellet. Dadurch die Regungen der Geister anzuschau'n: Hier zengt eu'r Angesicht die innre Seelen-Schmertzen/ Und selbst der Augen-Brunn muß nichts als Thränen Warum? ihr solt und must itzt euer Hertz begraben: (thau'n. Jsts möglich/ daß ein Mensch mehr ohne Hertze lebt? Und soll ein Hertz den Sarg in seinem Hertzen haben? Gleichwie ein Seiden-Wurm sein Grab ihm selber webt? Man schloß vor diesem ja gekrönter Häupter Hertzen/ Wenn sie der letzte Stoß des Todes kalt gemacht/ Jn Gold und Edelstein/ und hat viel tausend Kertzen Zu zieren das Mausol verschwend'risch ausgedacht. Viel haben balsamirt die Hertzen wollen halten/ Umb so den Liebes-Dienst unendlich zu verneurn. Viel/ wenn sie schon gesehn der Adern Quell erkalten/ Die wolten doch noch so dem Tod und Fäulnüß steur' n. Nein/ euer Grabmal trotzt die prächtigen Colossen/ Cairens Seulen-Werck und Memphis Marmelstein/ Und was von Bildern mehr Corinthus hat gegossen/ Und das noch alte Rom gehauen Felsen ein. Doch trieb der Ehrgeitz an: Hier ein gehorsam Wille/ Der Kindes-Lieb und Pflicht zu einem Nachbar hat. Sie streiten/ wer zu erst die Schuldigkeit erfülle/ Und wer am nechsten ruh' bey dieser Grabe-Statt. Was scharrt ihr endlich ein? ein Hertz/ von dem das Hertze/ So stündlich in euch klopfft/ den ersten Ursprung führt/ Die Sonne/ so bißher durch ihrer Stralen Kertze Euch alle hat gewärmt/ beseelet und geziert. Jst sonst der Menschen Hertz das Wohnhaus ihrer Seele/ So war der Mutter Hertz auch eures Lebens-Sitz. Regt und bewegt es sich erst in des Cörpers Höle/ Und weckt die Geister auf/ und theilt aus Blut und Hitz. So hat der Mutter Hertz/ worunter ihr gelegen/ Noch vor dem Tage-Licht wohlthätig sich erzeigt/ Und denn ohn Unterlaß Heil/ Wonne/ Leben/ Seegen/ Und was man wünschen mag/ euch mildreich zugeneigt. Wohnt
Leichen-Gedichte. Das getreue Mutter-Hertz/ HOchedle/ jener wuͤnſcht ihm Fenſter in die Hertzen/Bey Beerdigung Fr. M. M. S. g. v. S. den 10. Decembr. 1679. vorgeſtellet. Dadurch die Regungen der Geiſter anzuſchau’n: Hier zengt eu’r Angeſicht die innre Seelen-Schmertzen/ Und ſelbſt der Augen-Brunn muß nichts als Thraͤnen Warum? ihr ſolt und muſt itzt euer Hertz begraben: (thau’n. Jſts moͤglich/ daß ein Menſch mehr ohne Hertze lebt? Und ſoll ein Hertz den Sarg in ſeinem Hertzen haben? Gleichwie ein Seiden-Wurm ſein Grab ihm ſelber webt? Man ſchloß vor dieſem ja gekroͤnter Haͤupter Hertzen/ Wenn ſie der letzte Stoß des Todes kalt gemacht/ Jn Gold und Edelſtein/ und hat viel tauſend Kertzen Zu zieren das Mauſol verſchwend’riſch ausgedacht. Viel haben balſamirt die Hertzen wollen halten/ Umb ſo den Liebes-Dienſt unendlich zu verneurn. Viel/ wenn ſie ſchon geſehn der Adern Quell erkalten/ Die wolten doch noch ſo dem Tod und Faͤulnuͤß ſteur’ n. Nein/ euer Grabmal trotzt die praͤchtigen Coloſſen/ Cairens Seulen-Werck und Memphis Marmelſtein/ Und was von Bildern mehr Corinthus hat gegoſſen/ Und das noch alte Rom gehauen Felſen ein. Doch trieb der Ehrgeitz an: Hier ein gehorſam Wille/ Der Kindes-Lieb und Pflicht zu einem Nachbar hat. Sie ſtreiten/ wer zu erſt die Schuldigkeit erfuͤlle/ Und wer am nechſten ruh’ bey dieſer Grabe-Statt. Was ſcharrt ihr endlich ein? ein Hertz/ von dem das Hertze/ So ſtuͤndlich in euch klopfft/ den erſten Urſprung fuͤhrt/ Die Sonne/ ſo bißher durch ihrer Stralen Kertze Euch alle hat gewaͤrmt/ beſeelet und geziert. Jſt ſonſt der Menſchen Hertz das Wohnhaus ihrer Seele/ So war der Mutter Hertz auch eures Lebens-Sitz. Regt und bewegt es ſich erſt in des Coͤrpers Hoͤle/ Und weckt die Geiſter auf/ und theilt aus Blut und Hitz. So hat der Mutter Hertz/ worunter ihr gelegen/ Noch vor dem Tage-Licht wohlthaͤtig ſich erzeigt/ Und denn ohn Unterlaß Heil/ Wonne/ Leben/ Seegen/ Und was man wuͤnſchen mag/ euch mildreich zugeneigt. Wohnt
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Leichen-Gedichte.
Das getreue Mutter-Hertz/
Bey Beerdigung Fr. M. M. S. g. v. S.
den 10. Decembr. 1679. vorgeſtellet.
HOchedle/ jener wuͤnſcht ihm Fenſter in die Hertzen/
Dadurch die Regungen der Geiſter anzuſchau’n:
Hier zengt eu’r Angeſicht die innre Seelen-Schmertzen/
Und ſelbſt der Augen-Brunn muß nichts als Thraͤnen
Warum? ihr ſolt und muſt itzt euer Hertz begraben: (thau’n.
Jſts moͤglich/ daß ein Menſch mehr ohne Hertze lebt?
Und ſoll ein Hertz den Sarg in ſeinem Hertzen haben?
Gleichwie ein Seiden-Wurm ſein Grab ihm ſelber webt?
Man ſchloß vor dieſem ja gekroͤnter Haͤupter Hertzen/
Wenn ſie der letzte Stoß des Todes kalt gemacht/
Jn Gold und Edelſtein/ und hat viel tauſend Kertzen
Zu zieren das Mauſol verſchwend’riſch ausgedacht.
Viel haben balſamirt die Hertzen wollen halten/
Umb ſo den Liebes-Dienſt unendlich zu verneurn.
Viel/ wenn ſie ſchon geſehn der Adern Quell erkalten/
Die wolten doch noch ſo dem Tod und Faͤulnuͤß ſteur’ n.
Nein/ euer Grabmal trotzt die praͤchtigen Coloſſen/
Cairens Seulen-Werck und Memphis Marmelſtein/
Und was von Bildern mehr Corinthus hat gegoſſen/
Und das noch alte Rom gehauen Felſen ein.
Doch trieb der Ehrgeitz an: Hier ein gehorſam Wille/
Der Kindes-Lieb und Pflicht zu einem Nachbar hat.
Sie ſtreiten/ wer zu erſt die Schuldigkeit erfuͤlle/
Und wer am nechſten ruh’ bey dieſer Grabe-Statt.
Was ſcharrt ihr endlich ein? ein Hertz/ von dem das Hertze/
So ſtuͤndlich in euch klopfft/ den erſten Urſprung fuͤhrt/
Die Sonne/ ſo bißher durch ihrer Stralen Kertze
Euch alle hat gewaͤrmt/ beſeelet und geziert.
Jſt ſonſt der Menſchen Hertz das Wohnhaus ihrer Seele/
So war der Mutter Hertz auch eures Lebens-Sitz.
Regt und bewegt es ſich erſt in des Coͤrpers Hoͤle/
Und weckt die Geiſter auf/ und theilt aus Blut und Hitz.
So hat der Mutter Hertz/ worunter ihr gelegen/
Noch vor dem Tage-Licht wohlthaͤtig ſich erzeigt/
Und denn ohn Unterlaß Heil/ Wonne/ Leben/ Seegen/
Und was man wuͤnſchen mag/ euch mildreich zugeneigt.
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Zitationshilfe: | Mühlpfort, Heinrich: Teutsche Gedichte. Bd. 1. Breslau u. a., 1686, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muehlpfort_gedichte01_1686/659>, abgerufen am 28.07.2024. |