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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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ihr eine Esther oder vielmehr eine Tochter Jephtha's erblicken ließ; und wenn die Palmen und Cedern an dem Ufer des Guadalaviar über ihrem Haupte rauschten, dann war sie eine Sulamith an den Wasserflüssen Babylons.

Ihren Mann habe ich nie gesehn. Er war damals in Barcellona beschäftigt und hatte seine Gattin unterdessen in die Bäder von Grao gebracht, wo sie sich nach ihrer ersten Niederkunft, von der sie nur seit Kurzem erstanden war in Luft und Wasser stärken sollte. Ihre Begleiterin war eine Schwester ihres Mannes, ein Drache bei einer Taube, oder eine Lea neben einer Rahel.

Meine Liebe zu der schönen Debora war so frei und rein von jedem Wunsche nach Besitz und Genuß, daß die Kunde von ihren Verhältnissen meine Gefühle weder erstickte, noch herabstimmte. Bettlerin oder Königin, Heidin oder Christin, was frug ich danach, wenn ich mich nur täglich in ihre Anschauung versenken konnte? Mehr ein günstiger Zufall, als meine schüchterne Bemühung, setzte mich nach einiger Zeit in nähere Berührung mit ihr, und das Schachspiel, welches ihre liebste Beschäftigung war, und worin ich für einen Meister galt, führte uns Tag auf Tag in bestimmten Stunden, bisweilen auch ohne Zeugen, zusammen und wurde der Vermittler unsrer Herzen.

Ich muß kurz sein, denn meine Sinne fangen an zu schwindeln, indem sie die Erinnerung an dieses

ihr eine Esther oder vielmehr eine Tochter Jephtha's erblicken ließ; und wenn die Palmen und Cedern an dem Ufer des Guadalaviar über ihrem Haupte rauschten, dann war sie eine Sulamith an den Wasserflüssen Babylons.

Ihren Mann habe ich nie gesehn. Er war damals in Barcellona beschäftigt und hatte seine Gattin unterdessen in die Bäder von Grao gebracht, wo sie sich nach ihrer ersten Niederkunft, von der sie nur seit Kurzem erstanden war in Luft und Wasser stärken sollte. Ihre Begleiterin war eine Schwester ihres Mannes, ein Drache bei einer Taube, oder eine Lea neben einer Rahel.

Meine Liebe zu der schönen Debora war so frei und rein von jedem Wunsche nach Besitz und Genuß, daß die Kunde von ihren Verhältnissen meine Gefühle weder erstickte, noch herabstimmte. Bettlerin oder Königin, Heidin oder Christin, was frug ich danach, wenn ich mich nur täglich in ihre Anschauung versenken konnte? Mehr ein günstiger Zufall, als meine schüchterne Bemühung, setzte mich nach einiger Zeit in nähere Berührung mit ihr, und das Schachspiel, welches ihre liebste Beschäftigung war, und worin ich für einen Meister galt, führte uns Tag auf Tag in bestimmten Stunden, bisweilen auch ohne Zeugen, zusammen und wurde der Vermittler unsrer Herzen.

Ich muß kurz sein, denn meine Sinne fangen an zu schwindeln, indem sie die Erinnerung an dieses

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[0112] ihr eine Esther oder vielmehr eine Tochter Jephtha's erblicken ließ; und wenn die Palmen und Cedern an dem Ufer des Guadalaviar über ihrem Haupte rauschten, dann war sie eine Sulamith an den Wasserflüssen Babylons. Ihren Mann habe ich nie gesehn. Er war damals in Barcellona beschäftigt und hatte seine Gattin unterdessen in die Bäder von Grao gebracht, wo sie sich nach ihrer ersten Niederkunft, von der sie nur seit Kurzem erstanden war in Luft und Wasser stärken sollte. Ihre Begleiterin war eine Schwester ihres Mannes, ein Drache bei einer Taube, oder eine Lea neben einer Rahel. Meine Liebe zu der schönen Debora war so frei und rein von jedem Wunsche nach Besitz und Genuß, daß die Kunde von ihren Verhältnissen meine Gefühle weder erstickte, noch herabstimmte. Bettlerin oder Königin, Heidin oder Christin, was frug ich danach, wenn ich mich nur täglich in ihre Anschauung versenken konnte? Mehr ein günstiger Zufall, als meine schüchterne Bemühung, setzte mich nach einiger Zeit in nähere Berührung mit ihr, und das Schachspiel, welches ihre liebste Beschäftigung war, und worin ich für einen Meister galt, führte uns Tag auf Tag in bestimmten Stunden, bisweilen auch ohne Zeugen, zusammen und wurde der Vermittler unsrer Herzen. Ich muß kurz sein, denn meine Sinne fangen an zu schwindeln, indem sie die Erinnerung an dieses

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/112>, abgerufen am 23.11.2024.