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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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er wäre manchmal zu den Todtenmessen in die Begräbnißkirche an der Porta del Popolo gegangen.

Der Professor, welcher in den ersten Tagen nach dem Tode des Marquis die plötzliche Veränderung, die er an seinem Hausgenossen bemerkte, von diesem Trauerfalle herleitete, überließ ihn den stillen Wirkungen der Zeit, wohl wissend, daß andre Heilmittel einen solchen Zustand nur zu verschlimmern pflegen. Nachdem er aber die seltsame Stimmung des Jünglings länger und prüfender beobachtet hatte, so ward es ihm klar, daß sie einen andern und tiefern Ursprung haben müßte, und er verfiel, wie natürlich, auf die Vermuthung, daß er sich verliebt habe. Cecco bestärkte ihn in dieser Meinung und erzählte von Seufzern, Thränen in den Augen, verschlossenen Thüren und endlich auch von einem Portrait. Dieses wäre jedoch schon mit nach der Wohnung gekommen, wahrscheinlich das Bildniß der Geliebten, die der Herr Doctor in seiner Heimath zurückgelassen hätte, und von welcher er nun irgend eine beunruhigende Nachricht empfangen haben möchte. Der arme junge Herr! fügte er hinzu. Man kennt ihn nicht wieder. Sein Gesicht, sonst so roth, wie eine Oleanderblüte, und so rund, wie eine Pomeranze, wird von Tag zu Tage länger und spitzer, und seinen neuen Rock, er trägt ihn erst seit sechs Wochen, habe ich gestern heimlich um ein paar Finger breit einnähen lassen, so erbärmlich hing er ihm um den Leib herum. Wenn er so

er wäre manchmal zu den Todtenmessen in die Begräbnißkirche an der Porta del Popolo gegangen.

Der Professor, welcher in den ersten Tagen nach dem Tode des Marquis die plötzliche Veränderung, die er an seinem Hausgenossen bemerkte, von diesem Trauerfalle herleitete, überließ ihn den stillen Wirkungen der Zeit, wohl wissend, daß andre Heilmittel einen solchen Zustand nur zu verschlimmern pflegen. Nachdem er aber die seltsame Stimmung des Jünglings länger und prüfender beobachtet hatte, so ward es ihm klar, daß sie einen andern und tiefern Ursprung haben müßte, und er verfiel, wie natürlich, auf die Vermuthung, daß er sich verliebt habe. Cecco bestärkte ihn in dieser Meinung und erzählte von Seufzern, Thränen in den Augen, verschlossenen Thüren und endlich auch von einem Portrait. Dieses wäre jedoch schon mit nach der Wohnung gekommen, wahrscheinlich das Bildniß der Geliebten, die der Herr Doctor in seiner Heimath zurückgelassen hätte, und von welcher er nun irgend eine beunruhigende Nachricht empfangen haben möchte. Der arme junge Herr! fügte er hinzu. Man kennt ihn nicht wieder. Sein Gesicht, sonst so roth, wie eine Oleanderblüte, und so rund, wie eine Pomeranze, wird von Tag zu Tage länger und spitzer, und seinen neuen Rock, er trägt ihn erst seit sechs Wochen, habe ich gestern heimlich um ein paar Finger breit einnähen lassen, so erbärmlich hing er ihm um den Leib herum. Wenn er so

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[0120] er wäre manchmal zu den Todtenmessen in die Begräbnißkirche an der Porta del Popolo gegangen. Der Professor, welcher in den ersten Tagen nach dem Tode des Marquis die plötzliche Veränderung, die er an seinem Hausgenossen bemerkte, von diesem Trauerfalle herleitete, überließ ihn den stillen Wirkungen der Zeit, wohl wissend, daß andre Heilmittel einen solchen Zustand nur zu verschlimmern pflegen. Nachdem er aber die seltsame Stimmung des Jünglings länger und prüfender beobachtet hatte, so ward es ihm klar, daß sie einen andern und tiefern Ursprung haben müßte, und er verfiel, wie natürlich, auf die Vermuthung, daß er sich verliebt habe. Cecco bestärkte ihn in dieser Meinung und erzählte von Seufzern, Thränen in den Augen, verschlossenen Thüren und endlich auch von einem Portrait. Dieses wäre jedoch schon mit nach der Wohnung gekommen, wahrscheinlich das Bildniß der Geliebten, die der Herr Doctor in seiner Heimath zurückgelassen hätte, und von welcher er nun irgend eine beunruhigende Nachricht empfangen haben möchte. Der arme junge Herr! fügte er hinzu. Man kennt ihn nicht wieder. Sein Gesicht, sonst so roth, wie eine Oleanderblüte, und so rund, wie eine Pomeranze, wird von Tag zu Tage länger und spitzer, und seinen neuen Rock, er trägt ihn erst seit sechs Wochen, habe ich gestern heimlich um ein paar Finger breit einnähen lassen, so erbärmlich hing er ihm um den Leib herum. Wenn er so

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/120>, abgerufen am 24.11.2024.