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Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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bildungen, Hoffnungen, Wünsche und Entschlüsse zu folgen, welches er in den ersten Stunden nach seiner Rückkehr aus dem Ghetto durchlief, ohne einen Ausweg finden zu können. Er hatte freilich einen Faden, der ihn zu leiten verhieß, aber auch dieser war in die Irrgewinde seines räthselhaften Schicksals verflochten. Denn so unverwandt alle seine Bestrebungen auf den einen Ausgang gerichtet waren, die unglückliche Debora zu erlösen, und so leicht es ihm auch scheinen mußte, mit Hülfe jenes furchtbaren Geheimnisses, welches er aus dem Ghetto entführt hatte, sich einen Weg nach diesem Ziele zu bahnen: er wagte es dennoch nicht, zu vollbringen, was er konnte, und zu wollen, was er mußte. Sollte er den Vater der heiligen Büßerin, um den sie sich und ihre Seligkeit opferte, dem Schwerte der Gerechtigkeit übergeben und die nach der Legende zuerst mit Thränen getaufte zum zweiten Male mit dem väterlichen Blute taufen? Oder sollte er durch einen Versuch, heimlich in das Haus des alten Mörders einzubrechen und sich der Eingekerkerten als ein Gesandter des Himmels zu offenbaren, sein eigenes Leben auf das Spiel setzen? Oder sollte er Jenem den Tod in der Entdeckung des blutigen Geheimnisses androhen, und dann als den Preis des Schweigens die Tochter von ihm fordern?

Der letzte Vorschlag erschien ihm endlich als der beste, und er beschloß, ihn sogleich am nächsten Morgen auszuüben, ohne irgend eine fremde Hülfe dabei in

bildungen, Hoffnungen, Wünsche und Entschlüsse zu folgen, welches er in den ersten Stunden nach seiner Rückkehr aus dem Ghetto durchlief, ohne einen Ausweg finden zu können. Er hatte freilich einen Faden, der ihn zu leiten verhieß, aber auch dieser war in die Irrgewinde seines räthselhaften Schicksals verflochten. Denn so unverwandt alle seine Bestrebungen auf den einen Ausgang gerichtet waren, die unglückliche Debora zu erlösen, und so leicht es ihm auch scheinen mußte, mit Hülfe jenes furchtbaren Geheimnisses, welches er aus dem Ghetto entführt hatte, sich einen Weg nach diesem Ziele zu bahnen: er wagte es dennoch nicht, zu vollbringen, was er konnte, und zu wollen, was er mußte. Sollte er den Vater der heiligen Büßerin, um den sie sich und ihre Seligkeit opferte, dem Schwerte der Gerechtigkeit übergeben und die nach der Legende zuerst mit Thränen getaufte zum zweiten Male mit dem väterlichen Blute taufen? Oder sollte er durch einen Versuch, heimlich in das Haus des alten Mörders einzubrechen und sich der Eingekerkerten als ein Gesandter des Himmels zu offenbaren, sein eigenes Leben auf das Spiel setzen? Oder sollte er Jenem den Tod in der Entdeckung des blutigen Geheimnisses androhen, und dann als den Preis des Schweigens die Tochter von ihm fordern?

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[0134] bildungen, Hoffnungen, Wünsche und Entschlüsse zu folgen, welches er in den ersten Stunden nach seiner Rückkehr aus dem Ghetto durchlief, ohne einen Ausweg finden zu können. Er hatte freilich einen Faden, der ihn zu leiten verhieß, aber auch dieser war in die Irrgewinde seines räthselhaften Schicksals verflochten. Denn so unverwandt alle seine Bestrebungen auf den einen Ausgang gerichtet waren, die unglückliche Debora zu erlösen, und so leicht es ihm auch scheinen mußte, mit Hülfe jenes furchtbaren Geheimnisses, welches er aus dem Ghetto entführt hatte, sich einen Weg nach diesem Ziele zu bahnen: er wagte es dennoch nicht, zu vollbringen, was er konnte, und zu wollen, was er mußte. Sollte er den Vater der heiligen Büßerin, um den sie sich und ihre Seligkeit opferte, dem Schwerte der Gerechtigkeit übergeben und die nach der Legende zuerst mit Thränen getaufte zum zweiten Male mit dem väterlichen Blute taufen? Oder sollte er durch einen Versuch, heimlich in das Haus des alten Mörders einzubrechen und sich der Eingekerkerten als ein Gesandter des Himmels zu offenbaren, sein eigenes Leben auf das Spiel setzen? Oder sollte er Jenem den Tod in der Entdeckung des blutigen Geheimnisses androhen, und dann als den Preis des Schweigens die Tochter von ihm fordern? Der letzte Vorschlag erschien ihm endlich als der beste, und er beschloß, ihn sogleich am nächsten Morgen auszuüben, ohne irgend eine fremde Hülfe dabei in

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T15:21:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T15:21:38Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Müller, Wilhelm: Debora. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 18. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–148. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_debora_1910/134>, abgerufen am 26.11.2024.