Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

gezeigt, eigentlich keinen Ueberschuß in Sachen, sondern nur
den höhern Credit, den höheren Glauben an die bürgerliche
Gesellschaft, und somit in letzter Instanz den höhern Glauben
an die göttliche Idee, wodurch die bürgerliche Gesellschaft zu
einem Ganzen wird, bezweckt -- so muß uns der bloße, ge-
wöhnliche, widerspruchsscheue Verstand zugeben, daß eine
genügende Ansicht der Staatswirthschaft so lange unmöglich
war, als man bey den mechanischen Umtriebe der äußeren
producirenden Kräfte allein verweilte, als man nur den hand-
greiflichen Dingen ein ökonomisches Gewicht zugestehn wollte,
und die unsichtbare Macht, welche dem menschlichen Bedürfniß
seine Richtung, und somit aller Produktion ihre Form gibt, durch-
aus nicht als ökonomisches Moment anerkennen wollte. Für
das Verzehren, meinte man, laßt die Natur sorgen (d. h.
die rohe, wilde Natur, die der bürgerlichen Ordnung gegenüber
billig Zufall genannt werden muß) -- ihr habt nur so viel als
möglich zu produciren, damit allezeit mehr vorhanden sey,
als consumirt werden kann. --

Was Wunder, daß die Menschheit in aller ihrer Produkten-
fülle zu verschmachten Gefahr lief! Auf die höheren Bedürf-
nisse, auf das Bedürfniß aller Bedürfnisse, auf den Frieden
der jedem Dinge inwohnen muß, damit es befriedigen kann,
war keine Rücksicht genommen; die ganze Produktion hatte für
ein fabelhaftes Zwittergeschlecht gearbeitet, für ein Bündel
isolirter, gebildeter, eleganter, sich unabhängig wähnender
Sklaven, die weder Gottes noch der Gesellschaft bedürften:
indessen sehnte sich und rang das wirkliche Geschlecht noch im-
mer, wie vor Alters, nur unbestimmter, unbefriedigter und

gezeigt, eigentlich keinen Ueberſchuß in Sachen, ſondern nur
den hoͤhern Credit, den hoͤheren Glauben an die buͤrgerliche
Geſellſchaft, und ſomit in letzter Inſtanz den hoͤhern Glauben
an die goͤttliche Idee, wodurch die buͤrgerliche Geſellſchaft zu
einem Ganzen wird, bezweckt — ſo muß uns der bloße, ge-
woͤhnliche, widerſpruchsſcheue Verſtand zugeben, daß eine
genuͤgende Anſicht der Staatswirthſchaft ſo lange unmoͤglich
war, als man bey den mechaniſchen Umtriebe der aͤußeren
producirenden Kraͤfte allein verweilte, als man nur den hand-
greiflichen Dingen ein oͤkonomiſches Gewicht zugeſtehn wollte,
und die unſichtbare Macht, welche dem menſchlichen Beduͤrfniß
ſeine Richtung, und ſomit aller Produktion ihre Form gibt, durch-
aus nicht als oͤkonomiſches Moment anerkennen wollte. Fuͤr
das Verzehren, meinte man, laßt die Natur ſorgen (d. h.
die rohe, wilde Natur, die der buͤrgerlichen Ordnung gegenuͤber
billig Zufall genannt werden muß) — ihr habt nur ſo viel als
moͤglich zu produciren, damit allezeit mehr vorhanden ſey,
als conſumirt werden kann. —

Was Wunder, daß die Menſchheit in aller ihrer Produkten-
fuͤlle zu verſchmachten Gefahr lief! Auf die hoͤheren Beduͤrf-
niſſe, auf das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe, auf den Frieden
der jedem Dinge inwohnen muß, damit es befriedigen kann,
war keine Ruͤckſicht genommen; die ganze Produktion hatte fuͤr
ein fabelhaftes Zwittergeſchlecht gearbeitet, fuͤr ein Buͤndel
iſolirter, gebildeter, eleganter, ſich unabhaͤngig waͤhnender
Sklaven, die weder Gottes noch der Geſellſchaft beduͤrften:
indeſſen ſehnte ſich und rang das wirkliche Geſchlecht noch im-
mer, wie vor Alters, nur unbeſtimmter, unbefriedigter und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0124" n="110"/>
gezeigt, eigentlich keinen Ueber&#x017F;chuß in Sachen, &#x017F;ondern nur<lb/>
den ho&#x0364;hern Credit, den ho&#x0364;heren Glauben an die bu&#x0364;rgerliche<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, und &#x017F;omit in letzter In&#x017F;tanz den ho&#x0364;hern Glauben<lb/>
an die go&#x0364;ttliche Idee, wodurch die bu&#x0364;rgerliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu<lb/>
einem Ganzen wird, bezweckt &#x2014; &#x017F;o muß uns der bloße, ge-<lb/>
wo&#x0364;hnliche, wider&#x017F;pruchs&#x017F;cheue Ver&#x017F;tand zugeben, daß eine<lb/>
genu&#x0364;gende An&#x017F;icht der Staatswirth&#x017F;chaft &#x017F;o lange unmo&#x0364;glich<lb/>
war, als man bey den mechani&#x017F;chen Umtriebe der a&#x0364;ußeren<lb/>
producirenden Kra&#x0364;fte allein verweilte, als man nur den hand-<lb/>
greiflichen Dingen ein o&#x0364;konomi&#x017F;ches Gewicht zuge&#x017F;tehn wollte,<lb/>
und die un&#x017F;ichtbare Macht, welche dem men&#x017F;chlichen Bedu&#x0364;rfniß<lb/>
&#x017F;eine Richtung, und &#x017F;omit aller Produktion ihre Form gibt, durch-<lb/>
aus nicht als o&#x0364;konomi&#x017F;ches Moment anerkennen wollte. Fu&#x0364;r<lb/>
das Verzehren, meinte man, laßt die Natur &#x017F;orgen (d. h.<lb/>
die rohe, wilde Natur, die der bu&#x0364;rgerlichen Ordnung gegenu&#x0364;ber<lb/>
billig Zufall genannt werden muß) &#x2014; ihr habt nur &#x017F;o viel als<lb/>
mo&#x0364;glich zu produciren, damit allezeit mehr vorhanden &#x017F;ey,<lb/>
als con&#x017F;umirt werden kann. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Was Wunder, daß die Men&#x017F;chheit in aller ihrer Produkten-<lb/>
fu&#x0364;lle zu ver&#x017F;chmachten Gefahr lief! Auf die ho&#x0364;heren Bedu&#x0364;rf-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e, auf das Bedu&#x0364;rfniß aller Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e, auf den Frieden<lb/>
der jedem Dinge inwohnen muß, damit es befriedigen kann,<lb/>
war keine Ru&#x0364;ck&#x017F;icht genommen; die ganze Produktion hatte fu&#x0364;r<lb/>
ein fabelhaftes Zwitterge&#x017F;chlecht gearbeitet, fu&#x0364;r ein Bu&#x0364;ndel<lb/>
i&#x017F;olirter, gebildeter, eleganter, &#x017F;ich unabha&#x0364;ngig wa&#x0364;hnender<lb/>
Sklaven, die weder Gottes noch der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft bedu&#x0364;rften:<lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ehnte &#x017F;ich und rang das wirkliche Ge&#x017F;chlecht noch im-<lb/>
mer, wie vor Alters, nur unbe&#x017F;timmter, unbefriedigter und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0124] gezeigt, eigentlich keinen Ueberſchuß in Sachen, ſondern nur den hoͤhern Credit, den hoͤheren Glauben an die buͤrgerliche Geſellſchaft, und ſomit in letzter Inſtanz den hoͤhern Glauben an die goͤttliche Idee, wodurch die buͤrgerliche Geſellſchaft zu einem Ganzen wird, bezweckt — ſo muß uns der bloße, ge- woͤhnliche, widerſpruchsſcheue Verſtand zugeben, daß eine genuͤgende Anſicht der Staatswirthſchaft ſo lange unmoͤglich war, als man bey den mechaniſchen Umtriebe der aͤußeren producirenden Kraͤfte allein verweilte, als man nur den hand- greiflichen Dingen ein oͤkonomiſches Gewicht zugeſtehn wollte, und die unſichtbare Macht, welche dem menſchlichen Beduͤrfniß ſeine Richtung, und ſomit aller Produktion ihre Form gibt, durch- aus nicht als oͤkonomiſches Moment anerkennen wollte. Fuͤr das Verzehren, meinte man, laßt die Natur ſorgen (d. h. die rohe, wilde Natur, die der buͤrgerlichen Ordnung gegenuͤber billig Zufall genannt werden muß) — ihr habt nur ſo viel als moͤglich zu produciren, damit allezeit mehr vorhanden ſey, als conſumirt werden kann. — Was Wunder, daß die Menſchheit in aller ihrer Produkten- fuͤlle zu verſchmachten Gefahr lief! Auf die hoͤheren Beduͤrf- niſſe, auf das Beduͤrfniß aller Beduͤrfniſſe, auf den Frieden der jedem Dinge inwohnen muß, damit es befriedigen kann, war keine Ruͤckſicht genommen; die ganze Produktion hatte fuͤr ein fabelhaftes Zwittergeſchlecht gearbeitet, fuͤr ein Buͤndel iſolirter, gebildeter, eleganter, ſich unabhaͤngig waͤhnender Sklaven, die weder Gottes noch der Geſellſchaft beduͤrften: indeſſen ſehnte ſich und rang das wirkliche Geſchlecht noch im- mer, wie vor Alters, nur unbeſtimmter, unbefriedigter und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/124
Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien. Leipzig u. a., 1816. , S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_geld_1816/124>, abgerufen am 24.11.2024.