I.Das Lebensgesetz für die Metamor- phose der Phantasiebilder.
164.
Da die Sinnesthätigkeit nie ganz ohne Phantasie ist, wie wir denn in jeder Sinnesanschauung bald dieses bald jenes von dem Objecte lebhafter dem Sinneeinbilden, aus einer Menge gleichzeitiger harmonischer Töne, bald diese bald jene Succession vorzugsweise verfolgen, und da ander- seits die Phantasie nie ganz ohne Wirkung auf den Sinn zu seyn scheint, indem auch die phantastische Vorstellung als Begrenzung und Umriß in dem dunkeln oder lichten Seh- feld der Sehsinnsubstanz vorgestellt wird, so könnte Einer behaupten, es seien eben nur die inneren Ursprünge der Sinnessubstanzen selbst, welche phantasiren, die Phantasie sei nur in diesen thätig und habe kein anderes Organon, die Extremität der Sehsinnsubstanz im Auge sei zwar nur der leuchtenden Reaction gegen äußere Eindrücke fähig, aber der innere Ursprung der Sehsinnsubstanz sei selbst thätig, und sein Leben sei Formen phantasirend, die bei lebhafterer Thätigkeit in demselben Organe leuchtend werden.
165.
Wenn aber die Lebensform des Gesichtssinnes, Licht und Farbe zu sehen, des Tonsinnes, Ton zu hören u. s. w., die Phantasie aber bei sich und ihrem Wesen bleibt, auch wenn ihre Gebilde bloß vorstellte Begrenzung ohne eigenthümliches Licht und Farbe sind, da überdieß die
I.Das Lebensgeſetz fuͤr die Metamor- phoſe der Phantaſiebilder.
164.
Da die Sinnesthaͤtigkeit nie ganz ohne Phantaſie iſt, wie wir denn in jeder Sinnesanſchauung bald dieſes bald jenes von dem Objecte lebhafter dem Sinneeinbilden, aus einer Menge gleichzeitiger harmoniſcher Toͤne, bald dieſe bald jene Succeſſion vorzugsweiſe verfolgen, und da ander- ſeits die Phantaſie nie ganz ohne Wirkung auf den Sinn zu ſeyn ſcheint, indem auch die phantaſtiſche Vorſtellung als Begrenzung und Umriß in dem dunkeln oder lichten Seh- feld der Sehſinnſubſtanz vorgeſtellt wird, ſo koͤnnte Einer behaupten, es ſeien eben nur die inneren Urſpruͤnge der Sinnesſubſtanzen ſelbſt, welche phantaſiren, die Phantaſie ſei nur in dieſen thaͤtig und habe kein anderes Organon, die Extremitaͤt der Sehſinnſubſtanz im Auge ſei zwar nur der leuchtenden Reaction gegen aͤußere Eindruͤcke faͤhig, aber der innere Urſprung der Sehſinnſubſtanz ſei ſelbſt thaͤtig, und ſein Leben ſei Formen phantaſirend, die bei lebhafterer Thaͤtigkeit in demſelben Organe leuchtend werden.
165.
Wenn aber die Lebensform des Geſichtsſinnes, Licht und Farbe zu ſehen, des Tonſinnes, Ton zu hoͤren u. ſ. w., die Phantaſie aber bei ſich und ihrem Weſen bleibt, auch wenn ihre Gebilde bloß vorſtellte Begrenzung ohne eigenthuͤmliches Licht und Farbe ſind, da uͤberdieß die
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I. Das Lebensgeſetz fuͤr die Metamor-
phoſe der Phantaſiebilder.
164.
Da die Sinnesthaͤtigkeit nie ganz ohne Phantaſie iſt,
wie wir denn in jeder Sinnesanſchauung bald dieſes bald
jenes von dem Objecte lebhafter dem Sinneeinbilden, aus
einer Menge gleichzeitiger harmoniſcher Toͤne, bald dieſe
bald jene Succeſſion vorzugsweiſe verfolgen, und da ander-
ſeits die Phantaſie nie ganz ohne Wirkung auf den Sinn
zu ſeyn ſcheint, indem auch die phantaſtiſche Vorſtellung
als Begrenzung und Umriß in dem dunkeln oder lichten Seh-
feld der Sehſinnſubſtanz vorgeſtellt wird, ſo koͤnnte Einer
behaupten, es ſeien eben nur die inneren Urſpruͤnge der
Sinnesſubſtanzen ſelbſt, welche phantaſiren, die Phantaſie
ſei nur in dieſen thaͤtig und habe kein anderes Organon,
die Extremitaͤt der Sehſinnſubſtanz im Auge ſei zwar nur
der leuchtenden Reaction gegen aͤußere Eindruͤcke faͤhig,
aber der innere Urſprung der Sehſinnſubſtanz ſei ſelbſt
thaͤtig, und ſein Leben ſei Formen phantaſirend, die
bei lebhafterer Thaͤtigkeit in demſelben Organe leuchtend
werden.
165.
Wenn aber die Lebensform des Geſichtsſinnes, Licht
und Farbe zu ſehen, des Tonſinnes, Ton zu hoͤren u. ſ.
w., die Phantaſie aber bei ſich und ihrem Weſen bleibt,
auch wenn ihre Gebilde bloß vorſtellte Begrenzung ohne
eigenthuͤmliches Licht und Farbe ſind, da uͤberdieß die
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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/109>, abgerufen am 11.02.2025.
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