stellung die physiologische Lebensform der Phantasie ist, die bloß darum psychisch heißt, weil sie eben nur vor- stellend ist, so kömmt es uns nun zuletzt zu, dieß leben- dige Verwandeln des Inhaltes selbst für sich der Unter- suchung zu unterwerfen.
168.
Was soll man nun nach allem dem dazu sagen, was die empirische Psychologie bisher über das Lebendige der Ein- bildungskraft vorgebracht? Hat sie nur einigermaßen den Inhalt eines so mächtigen Vermögens wahrgenommen, hat sie nicht gerade zu das Leben der Phantasie, ihren nach eigenen Gesetzen lebendigen Fortschritt verläugnen müssen, um ihre kläglichen Associationsgesetze durchführen zu können, Regeln, die darum schon keine Gesetze sind, weil ihrer viele über dieselbe Sache, und weil sie, in sich selbst widersprechend Willkühr und Zufälligkeit an die Stelle des lebendigen Fortschrittes setzen? Wenn die Phantasie das Aehnliche und zugleich das Entgegengesetzte associirt, wo ist denn das Lebensgesetz der Phantasie, durch welches begreif- lich wäre, wie sie beides thun kann, ohne anders als in ihrem Leben thätig zu seyn? In den sogenannten Asso- ciationsgesetzen liegt das Gesetzmäßige bloß in dem Inhalt der Vorstellungen, in den Objecten der Association, nicht aber in dem associirenden, in der Phantasie selbst, und die empirische Psychologie wiederhohlt hier, was sie immer gethan hat, sie stellt Beziehungen zwischen den Producten auf und läßt das Leben des producirenden Geistes gehen.
169.
Wenn man diese Erörterungen über die Associations- gesetze liest, so sollte man glauben, das Leben der Phan- tasie wäre nicht ein lebendiges Schaffen, sondern nur selbst die nach gewissen Gesetzen der Wahlverwandschaft sich an-
ſtellung die phyſiologiſche Lebensform der Phantaſie iſt, die bloß darum pſychiſch heißt, weil ſie eben nur vor- ſtellend iſt, ſo koͤmmt es uns nun zuletzt zu, dieß leben- dige Verwandeln des Inhaltes ſelbſt fuͤr ſich der Unter- ſuchung zu unterwerfen.
168.
Was ſoll man nun nach allem dem dazu ſagen, was die empiriſche Pſychologie bisher uͤber das Lebendige der Ein- bildungskraft vorgebracht? Hat ſie nur einigermaßen den Inhalt eines ſo maͤchtigen Vermoͤgens wahrgenommen, hat ſie nicht gerade zu das Leben der Phantaſie, ihren nach eigenen Geſetzen lebendigen Fortſchritt verlaͤugnen muͤſſen, um ihre klaͤglichen Aſſociationsgeſetze durchfuͤhren zu koͤnnen, Regeln, die darum ſchon keine Geſetze ſind, weil ihrer viele uͤber dieſelbe Sache, und weil ſie, in ſich ſelbſt widerſprechend Willkuͤhr und Zufaͤlligkeit an die Stelle des lebendigen Fortſchrittes ſetzen? Wenn die Phantaſie das Aehnliche und zugleich das Entgegengeſetzte aſſociirt, wo iſt denn das Lebensgeſetz der Phantaſie, durch welches begreif- lich waͤre, wie ſie beides thun kann, ohne anders als in ihrem Leben thaͤtig zu ſeyn? In den ſogenannten Aſſo- ciationsgeſetzen liegt das Geſetzmaͤßige bloß in dem Inhalt der Vorſtellungen, in den Objecten der Aſſociation, nicht aber in dem aſſociirenden, in der Phantaſie ſelbſt, und die empiriſche Pſychologie wiederhohlt hier, was ſie immer gethan hat, ſie ſtellt Beziehungen zwiſchen den Producten auf und laͤßt das Leben des producirenden Geiſtes gehen.
169.
Wenn man dieſe Eroͤrterungen uͤber die Aſſociations- geſetze lieſt, ſo ſollte man glauben, das Leben der Phan- taſie waͤre nicht ein lebendiges Schaffen, ſondern nur ſelbſt die nach gewiſſen Geſetzen der Wahlverwandſchaft ſich an-
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ſtellung die phyſiologiſche Lebensform der Phantaſie iſt,
die bloß darum pſychiſch heißt, weil ſie eben nur vor-
ſtellend iſt, ſo koͤmmt es uns nun zuletzt zu, dieß leben-
dige Verwandeln des Inhaltes ſelbſt fuͤr ſich der Unter-
ſuchung zu unterwerfen.
168.
Was ſoll man nun nach allem dem dazu ſagen, was
die empiriſche Pſychologie bisher uͤber das Lebendige der Ein-
bildungskraft vorgebracht? Hat ſie nur einigermaßen den
Inhalt eines ſo maͤchtigen Vermoͤgens wahrgenommen, hat
ſie nicht gerade zu das Leben der Phantaſie, ihren nach
eigenen Geſetzen lebendigen Fortſchritt verlaͤugnen muͤſſen,
um ihre klaͤglichen Aſſociationsgeſetze durchfuͤhren zu
koͤnnen, Regeln, die darum ſchon keine Geſetze ſind, weil
ihrer viele uͤber dieſelbe Sache, und weil ſie, in ſich ſelbſt
widerſprechend Willkuͤhr und Zufaͤlligkeit an die Stelle des
lebendigen Fortſchrittes ſetzen? Wenn die Phantaſie das
Aehnliche und zugleich das Entgegengeſetzte aſſociirt, wo iſt
denn das Lebensgeſetz der Phantaſie, durch welches begreif-
lich waͤre, wie ſie beides thun kann, ohne anders als in
ihrem Leben thaͤtig zu ſeyn? In den ſogenannten Aſſo-
ciationsgeſetzen liegt das Geſetzmaͤßige bloß in dem Inhalt
der Vorſtellungen, in den Objecten der Aſſociation, nicht
aber in dem aſſociirenden, in der Phantaſie ſelbſt, und
die empiriſche Pſychologie wiederhohlt hier, was ſie immer
gethan hat, ſie ſtellt Beziehungen zwiſchen den Producten
auf und laͤßt das Leben des producirenden Geiſtes gehen.
169.
Wenn man dieſe Eroͤrterungen uͤber die Aſſociations-
geſetze lieſt, ſo ſollte man glauben, das Leben der Phan-
taſie waͤre nicht ein lebendiges Schaffen, ſondern nur ſelbſt
die nach gewiſſen Geſetzen der Wahlverwandſchaft ſich an-
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Müller, Johannes: Über die phantastischen Gesichtserscheinungen. Koblenz, 1826, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_gesichtserscheinungen_1826/111>, abgerufen am 11.02.2025.
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