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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

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sich doch nicht in Verse fassen. Ich sehe nicht ein,
warum sie nicht eben so wohl als jene gleichzeitige
Ekecheiria und jenes alte Orakel aufgeschrieben sein
konnte, da sich sonst die Fortpflanzung der Worte nicht
wohl denken läßt. Indessen waren der ursprünglichen
Rhetren sehr wenige; nur der Kern der Gesetzge-
bung wurde gegeben, mehr als ein Denkmal der Er-
innerung, denn als ein vollständiges Ganze: darum
konnten die Alten mit Recht sagen, daß Lykurgos keine,
und Zaleukos zuerst Gesetze geschrieben. Die drei Rhe-
tren, die man außer jener noch hatte, sind fast nur
Symbola einer Gesetzgebung, und nichts weniger als
Gesetze, sie hatten die Form der Orakel, wie ebenfalls
vom Pythischen Gotte gekommen 1, aber waren durch-
aus in Prosa abgefaßt 2. -- Daran schließt sich eine
andere Art öffentlicher Urkunden, die oroi oder Ab-
markungen der Gebiete. Es ist bekannt, daß wir aus
spätern Zeiten solche von dem heiligen Gebiete, wo
frühere determinationes hieromnemonum und alte In-
schriften auf Brücken angeführt werden, von Kretischen
Städten, von Samos und Priene (in denen die Prie-
neer alte im Tempel der Athena aufbewahrte Bestim-
mungen aus Bias Zeit anführen) haben; auch wurden
historische Werke daraus gemacht: dergleichen muß es

1 Plutarch Lykurg 13., welchex so zu fassen: "Geschriebene
Gesetze gab Lykurg nicht, sondern sanktionirte blos die Sitten."
Aber die r`etrai sind offenbar nicht bloße ethe, sondern in be-
stimmte Worte gefaßte orakelähnliche Sprüche, die sich aus alter
Zeit erhalten. Plut. Agesil. 26. nennt die hier angedeuteten ai
kaloumenai treis r`etrai, eben so de esu carn. 2, 1. o theios Lu-
kourgos en tais trisi r`etrais; also waren diese gewissermaßen
eine geschlossene Anzahl. Das me khresthai nomois eggraphois war
selbst darunter.
2 Plut. de Pyth. orac. 19. ai r`etrai,
di on ekosmese ten Lakedaimonion politeian Lukourgos, edo-
thesan auto katalogaden.

ſich doch nicht in Verſe faſſen. Ich ſehe nicht ein,
warum ſie nicht eben ſo wohl als jene gleichzeitige
Ekecheiria und jenes alte Orakel aufgeſchrieben ſein
konnte, da ſich ſonſt die Fortpflanzung der Worte nicht
wohl denken laͤßt. Indeſſen waren der urſpruͤnglichen
Rhetren ſehr wenige; nur der Kern der Geſetzge-
bung wurde gegeben, mehr als ein Denkmal der Er-
innerung, denn als ein vollſtaͤndiges Ganze: darum
konnten die Alten mit Recht ſagen, daß Lykurgos keine,
und Zaleukos zuerſt Geſetze geſchrieben. Die drei Rhe-
tren, die man außer jener noch hatte, ſind faſt nur
Symbola einer Geſetzgebung, und nichts weniger als
Geſetze, ſie hatten die Form der Orakel, wie ebenfalls
vom Pythiſchen Gotte gekommen 1, aber waren durch-
aus in Proſa abgefaßt 2. — Daran ſchließt ſich eine
andere Art oͤffentlicher Urkunden, die ὄροι oder Ab-
markungen der Gebiete. Es iſt bekannt, daß wir aus
ſpaͤtern Zeiten ſolche von dem heiligen Gebiete, wo
fruͤhere determinationes hieromnemonum und alte In-
ſchriften auf Bruͤcken angefuͤhrt werden, von Kretiſchen
Staͤdten, von Samos und Priene (in denen die Prie-
neer alte im Tempel der Athena aufbewahrte Beſtim-
mungen aus Bias Zeit anfuͤhren) haben; auch wurden
hiſtoriſche Werke daraus gemacht: dergleichen muß es

1 Plutarch Lykurg 13., welchex ſo zu faſſen: “Geſchriebene
Geſetze gab Lykurg nicht, ſondern ſanktionirte blos die Sitten.”
Aber die ϱ῾ῆτϱαι ſind offenbar nicht bloße ἤϑη, ſondern in be-
ſtimmte Worte gefaßte orakelaͤhnliche Spruͤche, die ſich aus alter
Zeit erhalten. Plut. Ageſil. 26. nennt die hier angedeuteten αἱ
καλούμεναι τϱεῖς ϱ῾ῆτϱαι, eben ſo de esu carn. 2, 1. ὁ ϑεῖος Λυ-
κοῦϱγος ἐν ταῖς τϱισὶ ϱ῾ήτϱαις; alſo waren dieſe gewiſſermaßen
eine geſchloſſene Anzahl. Das μὴ χϱῆσϑαι νόμοις ἐγγϱάφοις war
ſelbſt darunter.
2 Plut. de Pyth. orac. 19. αἱ ϱ῾ῆτϱαι,
δι̕ ὧν ἐκόσμησε τὴν Λακεδαιμονίων πολιτείαν Λυκοῦϱγος, ἐδό-
θησαν αὐτῷ καταλογάδην.
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[135/0165] ſich doch nicht in Verſe faſſen. Ich ſehe nicht ein, warum ſie nicht eben ſo wohl als jene gleichzeitige Ekecheiria und jenes alte Orakel aufgeſchrieben ſein konnte, da ſich ſonſt die Fortpflanzung der Worte nicht wohl denken laͤßt. Indeſſen waren der urſpruͤnglichen Rhetren ſehr wenige; nur der Kern der Geſetzge- bung wurde gegeben, mehr als ein Denkmal der Er- innerung, denn als ein vollſtaͤndiges Ganze: darum konnten die Alten mit Recht ſagen, daß Lykurgos keine, und Zaleukos zuerſt Geſetze geſchrieben. Die drei Rhe- tren, die man außer jener noch hatte, ſind faſt nur Symbola einer Geſetzgebung, und nichts weniger als Geſetze, ſie hatten die Form der Orakel, wie ebenfalls vom Pythiſchen Gotte gekommen 1, aber waren durch- aus in Proſa abgefaßt 2. — Daran ſchließt ſich eine andere Art oͤffentlicher Urkunden, die ὄροι oder Ab- markungen der Gebiete. Es iſt bekannt, daß wir aus ſpaͤtern Zeiten ſolche von dem heiligen Gebiete, wo fruͤhere determinationes hieromnemonum und alte In- ſchriften auf Bruͤcken angefuͤhrt werden, von Kretiſchen Staͤdten, von Samos und Priene (in denen die Prie- neer alte im Tempel der Athena aufbewahrte Beſtim- mungen aus Bias Zeit anfuͤhren) haben; auch wurden hiſtoriſche Werke daraus gemacht: dergleichen muß es 1 Plutarch Lykurg 13., welchex ſo zu faſſen: “Geſchriebene Geſetze gab Lykurg nicht, ſondern ſanktionirte blos die Sitten.” Aber die ϱ῾ῆτϱαι ſind offenbar nicht bloße ἤϑη, ſondern in be- ſtimmte Worte gefaßte orakelaͤhnliche Spruͤche, die ſich aus alter Zeit erhalten. Plut. Ageſil. 26. nennt die hier angedeuteten αἱ καλούμεναι τϱεῖς ϱ῾ῆτϱαι, eben ſo de esu carn. 2, 1. ὁ ϑεῖος Λυ- κοῦϱγος ἐν ταῖς τϱισὶ ϱ῾ήτϱαις; alſo waren dieſe gewiſſermaßen eine geſchloſſene Anzahl. Das μὴ χϱῆσϑαι νόμοις ἐγγϱάφοις war ſelbſt darunter. 2 Plut. de Pyth. orac. 19. αἱ ϱ῾ῆτϱαι, δι̕ ὧν ἐκόσμησε τὴν Λακεδαιμονίων πολιτείαν Λυκοῦϱγος, ἐδό- θησαν αὐτῷ καταλογάδην.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/165>, abgerufen am 16.05.2024.