Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

es von ihnen auf, derselbe, der den Zeus als Aether,
Hestia als Erde betrachtete. Im Phaethon dieses Dich-
ters klagte die Mutter des Unglücklichen gegen dessen
Vater Helios: "mit Recht nennt dich Apollon (Verder-
ber), wer die geheimen Namen der Götter kennt" 1,
ohne Zweifel nicht etwa auf Mysterientradition, sondern
auf philosophische Deutung sich beziehend. Allgemeiner
war die Meinung unter Alexandrinischen Gelehrten ge-
worden, und Kallimachos tadelt die mit Heftigkeit:

Welche Apollon noch von der allumstrahlenden Sonne
Sondern und Artemis von sanftschreitender Deione 2.

Bald legte man diese Meinung auch früheren Zeiten
bei, und der Verfasser der sog. Eratosthenischen Kata-
sterismen 3 erzählt: daß Orpheus der Thraker bei Ta-
gesanbruch von den Gebirgshöhen die Sonne als den
größten der Götter, den er auch Apollon genannt, an-
gebetet habe 4; was doch nicht zu dem Schlusse be-
rechtigt, daß die alten Orphiker vor Herodot Apollon
und Helios schon identificirt hätten. Denn deren Sy-
stem religiöser Spekulation drehte sich hauptsächlich um
Bakchos, und in allen einigermaßen alten Orphischen
Fragmenten ist von Apollon überhaupt so gut wie gar
nicht die Rede 5.


1 Die durch Makrob. Sat. 1, 23. bekannte Stelle findet sich
jetzt in ihrem Zusammenhange in dem aus dem Pariser Mspt. her-
ausgegebenen Fragment.
2 Fragm. 48. Bentl. Derselben
Lehre folgten Apollodor (Makr. 1, 17.) und Philochoros, nach dem
unter den Tritopatoren ein Helios-Apollon war. Fragm. S. 11,
auch Strab. 14, 655.
3 24. Aus Aeschylos Bassariden ist
blos die folgende Erzählung. vgl. Timotheos p. kosmopoiias bei
Euseb. Scalig. S. 4.
4 Zum Theil bezieht sich dies auf den
wirklich vorhandenen Sonnendienst der Thraker. Sophokles Tereus
bei Schol. Il. 15, 705.
5 Die Stellen, die ihn als Son-
nengott behandeln, ein Fragm. bei Jo. Diaconus und ein Hymnus,
gehören zum Spätesten. Das Sihyllinische Orakel bei Zosim. 2,
II. 19

es von ihnen auf, derſelbe, der den Zeus als Aether,
Heſtia als Erde betrachtete. Im Phaethon dieſes Dich-
ters klagte die Mutter des Ungluͤcklichen gegen deſſen
Vater Helios: “mit Recht nennt dich Apollon (Verder-
ber), wer die geheimen Namen der Goͤtter kennt” 1,
ohne Zweifel nicht etwa auf Myſterientradition, ſondern
auf philoſophiſche Deutung ſich beziehend. Allgemeiner
war die Meinung unter Alexandriniſchen Gelehrten ge-
worden, und Kallimachos tadelt die mit Heftigkeit:

Welche Apollon noch von der allumſtrahlenden Sonne
Sondern und Artemis von ſanftſchreitender Deione 2.

Bald legte man dieſe Meinung auch fruͤheren Zeiten
bei, und der Verfaſſer der ſog. Eratoſtheniſchen Kata-
ſterismen 3 erzaͤhlt: daß Orpheus der Thraker bei Ta-
gesanbruch von den Gebirgshoͤhen die Sonne als den
groͤßten der Goͤtter, den er auch Apollon genannt, an-
gebetet habe 4; was doch nicht zu dem Schluſſe be-
rechtigt, daß die alten Orphiker vor Herodot Apollon
und Helios ſchon identificirt haͤtten. Denn deren Sy-
ſtem religioͤſer Spekulation drehte ſich hauptſaͤchlich um
Bakchos, und in allen einigermaßen alten Orphiſchen
Fragmenten iſt von Apollon uͤberhaupt ſo gut wie gar
nicht die Rede 5.


1 Die durch Makrob. Sat. 1, 23. bekannte Stelle findet ſich
jetzt in ihrem Zuſammenhange in dem aus dem Pariſer Mſpt. her-
ausgegebenen Fragment.
2 Fragm. 48. Bentl. Derſelben
Lehre folgten Apollodor (Makr. 1, 17.) und Philochoros, nach dem
unter den Tritopatoren ein Helios-Apollon war. Fragm. S. 11,
auch Strab. 14, 655.
3 24. Aus Aeſchylos Baſſariden iſt
blos die folgende Erzaͤhlung. vgl. Timotheos π. κοσμοποιίας bei
Euſeb. Scalig. S. 4.
4 Zum Theil bezieht ſich dies auf den
wirklich vorhandenen Sonnendienſt der Thraker. Sophokles Tereus
bei Schol. Il. 15, 705.
5 Die Stellen, die ihn als Son-
nengott behandeln, ein Fragm. bei Jo. Diaconus und ein Hymnus,
gehoͤren zum Spaͤteſten. Das Sihylliniſche Orakel bei Zoſim. 2,
II. 19
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0319" n="289"/>
es von ihnen auf, der&#x017F;elbe, der den Zeus als Aether,<lb/>
He&#x017F;tia als Erde betrachtete. Im Phaethon die&#x017F;es Dich-<lb/>
ters klagte die Mutter des Unglu&#x0364;cklichen gegen de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Vater Helios: &#x201C;mit Recht nennt dich Apollon (Verder-<lb/>
ber), wer die geheimen Namen der Go&#x0364;tter kennt&#x201D; <note place="foot" n="1">Die durch Makrob. Sat. 1, 23. bekannte Stelle findet &#x017F;ich<lb/>
jetzt in ihrem Zu&#x017F;ammenhange in dem aus dem Pari&#x017F;er M&#x017F;pt. her-<lb/>
ausgegebenen Fragment.</note>,<lb/>
ohne Zweifel nicht etwa auf My&#x017F;terientradition, &#x017F;ondern<lb/>
auf philo&#x017F;ophi&#x017F;che Deutung &#x017F;ich beziehend. Allgemeiner<lb/>
war die Meinung unter Alexandrini&#x017F;chen Gelehrten ge-<lb/>
worden, und Kallimachos tadelt die mit Heftigkeit:</p><lb/>
              <lg type="poem">
                <l>Welche Apollon noch von der allum&#x017F;trahlenden Sonne</l><lb/>
                <l>Sondern und Artemis von &#x017F;anft&#x017F;chreitender Deione <note place="foot" n="2">Fragm. 48. Bentl. Der&#x017F;elben<lb/>
Lehre folgten Apollodor (Makr. 1, 17.) und Philochoros, nach dem<lb/>
unter den Tritopatoren ein Helios-Apollon war. Fragm. S. 11,<lb/>
auch Strab. 14, 655.</note>.</l>
              </lg><lb/>
              <p>Bald legte man die&#x017F;e Meinung auch fru&#x0364;heren Zeiten<lb/>
bei, und der Verfa&#x017F;&#x017F;er der &#x017F;og. Erato&#x017F;theni&#x017F;chen Kata-<lb/>
&#x017F;terismen <note place="foot" n="3">24. Aus Ae&#x017F;chylos Ba&#x017F;&#x017F;ariden i&#x017F;t<lb/>
blos die folgende Erza&#x0364;hlung. vgl. Timotheos &#x03C0;. &#x03BA;&#x03BF;&#x03C3;&#x03BC;&#x03BF;&#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x03AF;&#x03B1;&#x03C2; bei<lb/>
Eu&#x017F;eb. Scalig. S. 4.</note> erza&#x0364;hlt: daß Orpheus der Thraker bei Ta-<lb/>
gesanbruch von den Gebirgsho&#x0364;hen die Sonne als den<lb/>
gro&#x0364;ßten der Go&#x0364;tter, den er auch Apollon genannt, an-<lb/>
gebetet habe <note place="foot" n="4">Zum Theil bezieht &#x017F;ich dies auf den<lb/>
wirklich vorhandenen Sonnendien&#x017F;t der Thraker. Sophokles Tereus<lb/>
bei Schol. Il. 15, 705.</note>; was doch nicht zu dem Schlu&#x017F;&#x017F;e be-<lb/>
rechtigt, daß die alten Orphiker vor Herodot Apollon<lb/>
und Helios &#x017F;chon identificirt ha&#x0364;tten. Denn deren Sy-<lb/>
&#x017F;tem religio&#x0364;&#x017F;er Spekulation drehte &#x017F;ich haupt&#x017F;a&#x0364;chlich um<lb/>
Bakchos, und in allen einigermaßen alten Orphi&#x017F;chen<lb/>
Fragmenten i&#x017F;t von Apollon u&#x0364;berhaupt &#x017F;o gut wie gar<lb/>
nicht die Rede <note xml:id="seg2pn_30_1" next="#seg2pn_30_2" place="foot" n="5">Die Stellen, die ihn als Son-<lb/>
nengott behandeln, ein Fragm. bei Jo. Diaconus und ein Hymnus,<lb/>
geho&#x0364;ren zum Spa&#x0364;te&#x017F;ten. Das Sihyllini&#x017F;che Orakel bei Zo&#x017F;im. 2,</note>.</p>
            </div><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> 19</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[289/0319] es von ihnen auf, derſelbe, der den Zeus als Aether, Heſtia als Erde betrachtete. Im Phaethon dieſes Dich- ters klagte die Mutter des Ungluͤcklichen gegen deſſen Vater Helios: “mit Recht nennt dich Apollon (Verder- ber), wer die geheimen Namen der Goͤtter kennt” 1, ohne Zweifel nicht etwa auf Myſterientradition, ſondern auf philoſophiſche Deutung ſich beziehend. Allgemeiner war die Meinung unter Alexandriniſchen Gelehrten ge- worden, und Kallimachos tadelt die mit Heftigkeit: Welche Apollon noch von der allumſtrahlenden Sonne Sondern und Artemis von ſanftſchreitender Deione 2. Bald legte man dieſe Meinung auch fruͤheren Zeiten bei, und der Verfaſſer der ſog. Eratoſtheniſchen Kata- ſterismen 3 erzaͤhlt: daß Orpheus der Thraker bei Ta- gesanbruch von den Gebirgshoͤhen die Sonne als den groͤßten der Goͤtter, den er auch Apollon genannt, an- gebetet habe 4; was doch nicht zu dem Schluſſe be- rechtigt, daß die alten Orphiker vor Herodot Apollon und Helios ſchon identificirt haͤtten. Denn deren Sy- ſtem religioͤſer Spekulation drehte ſich hauptſaͤchlich um Bakchos, und in allen einigermaßen alten Orphiſchen Fragmenten iſt von Apollon uͤberhaupt ſo gut wie gar nicht die Rede 5. 1 Die durch Makrob. Sat. 1, 23. bekannte Stelle findet ſich jetzt in ihrem Zuſammenhange in dem aus dem Pariſer Mſpt. her- ausgegebenen Fragment. 2 Fragm. 48. Bentl. Derſelben Lehre folgten Apollodor (Makr. 1, 17.) und Philochoros, nach dem unter den Tritopatoren ein Helios-Apollon war. Fragm. S. 11, auch Strab. 14, 655. 3 24. Aus Aeſchylos Baſſariden iſt blos die folgende Erzaͤhlung. vgl. Timotheos π. κοσμοποιίας bei Euſeb. Scalig. S. 4. 4 Zum Theil bezieht ſich dies auf den wirklich vorhandenen Sonnendienſt der Thraker. Sophokles Tereus bei Schol. Il. 15, 705. 5 Die Stellen, die ihn als Son- nengott behandeln, ein Fragm. bei Jo. Diaconus und ein Hymnus, gehoͤren zum Spaͤteſten. Das Sihylliniſche Orakel bei Zoſim. 2, II. 19

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/319
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/319>, abgerufen am 22.11.2024.