hang der religiösen Dichtung, die wir hier behandeln, paßt, daß der Gott, dessen innere Klarheit durch den Kampf mit der unreinen Natur selbst befleckt und ge- trübt ist, zur Erfüllung seiner Leiden in das ihm verhaßte Dunkel der Unterwelt hinabsteigen muß, sieht Jeder ein. Nachdem aber die bestimmte Zeit der Dienstbarkeit, die achtjährige Periode, vorüber: wandert der Gott zu dem uralten Altar von Tempe, wo Besprengungen mit Lorbeerzweigen und andere Sühngebräuche die Reinheit symbolisch herstellen 1. Noch fortwährend fastend kehrt der Gesühnte denselben Weg zurück bis Deipnias bei Larissa, wo ihn das erste Mahl erquickt.
9.
Wenig Mythen haben bei so vielfachen Um- wandlungen der Hellenischen Mythologie die ursprüng- liche Hoheit der Idee und die entsprechende Kraft des Ausdrucks in so unverkennbaren Zügen bewahrt, als dieser sehr alte. Es bedarf keines Scharfsinns zum Verständniß, er spricht sich selbst offen aus, sobald wir Sinn für eigenthümliche, obschon fremdartige, Geistes- entwickelung genug hinzubringen. Was wir oben aus alten Beinamen und dem fortwährend im Hellenischen Geiste lebenden Begriffe als Charakter Apollons ent- nahmen: ist hier in energische That zusammengedrängt, die in wenigen großen Momenten, wie Akten eines er- habenen Drama's, sich entwickelt und vollendet.
Schon in frühen Zeiten ging diese Delphische Cul- tussage in die epische Poesie über, wo aber Apollons Dienstbarkeit anders motivirt, und als von Zeus über ihn verhängte Strafe betrachtet wurde, weil er die
1 Mehrere Münzen scheinen diese Lustration darzustellen, eine Chalkedonische bei Mionnet n. 88., eine Perinthische (Perinth hat das Neokorat für seine Pythien) bei Mionn. n. 329. vgl. auch die von Alexandria Troas bei Mionn. 11. 109. 115. 116.
II. 21
hang der religioͤſen Dichtung, die wir hier behandeln, paßt, daß der Gott, deſſen innere Klarheit durch den Kampf mit der unreinen Natur ſelbſt befleckt und ge- truͤbt iſt, zur Erfuͤllung ſeiner Leiden in das ihm verhaßte Dunkel der Unterwelt hinabſteigen muß, ſieht Jeder ein. Nachdem aber die beſtimmte Zeit der Dienſtbarkeit, die achtjaͤhrige Periode, voruͤber: wandert der Gott zu dem uralten Altar von Tempe, wo Beſprengungen mit Lorbeerzweigen und andere Suͤhngebraͤuche die Reinheit ſymboliſch herſtellen 1. Noch fortwaͤhrend faſtend kehrt der Geſuͤhnte denſelben Weg zuruͤck bis Deipnias bei Lariſſa, wo ihn das erſte Mahl erquickt.
9.
Wenig Mythen haben bei ſo vielfachen Um- wandlungen der Helleniſchen Mythologie die urſpruͤng- liche Hoheit der Idee und die entſprechende Kraft des Ausdrucks in ſo unverkennbaren Zuͤgen bewahrt, als dieſer ſehr alte. Es bedarf keines Scharfſinns zum Verſtaͤndniß, er ſpricht ſich ſelbſt offen aus, ſobald wir Sinn fuͤr eigenthuͤmliche, obſchon fremdartige, Geiſtes- entwickelung genug hinzubringen. Was wir oben aus alten Beinamen und dem fortwaͤhrend im Helleniſchen Geiſte lebenden Begriffe als Charakter Apollons ent- nahmen: iſt hier in energiſche That zuſammengedraͤngt, die in wenigen großen Momenten, wie Akten eines er- habenen Drama’s, ſich entwickelt und vollendet.
Schon in fruͤhen Zeiten ging dieſe Delphiſche Cul- tusſage in die epiſche Poëſie uͤber, wo aber Apollons Dienſtbarkeit anders motivirt, und als von Zeus uͤber ihn verhaͤngte Strafe betrachtet wurde, weil er die
1 Mehrere Muͤnzen ſcheinen dieſe Luſtration darzuſtellen, eine Chalkedoniſche bei Mionnet n. 88., eine Perinthiſche (Perinth hat das Neokorat fuͤr ſeine Pythien) bei Mionn. n. 329. vgl. auch die von Alexandria Troas bei Mionn. 11. 109. 115. 116.
II. 21
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Kampf mit der unreinen Natur ſelbſt befleckt und ge-
truͤbt iſt, zur Erfuͤllung ſeiner Leiden in das ihm verhaßte
Dunkel der Unterwelt hinabſteigen muß, ſieht Jeder
ein. Nachdem aber die beſtimmte Zeit der Dienſtbarkeit,
die achtjaͤhrige Periode, voruͤber: wandert der Gott zu
dem uralten Altar von Tempe, wo Beſprengungen mit
Lorbeerzweigen und andere Suͤhngebraͤuche die Reinheit
ſymboliſch herſtellen 1. Noch fortwaͤhrend faſtend kehrt
der Geſuͤhnte denſelben Weg zuruͤck bis Deipnias bei
Lariſſa, wo ihn das erſte Mahl erquickt.
9.
Wenig Mythen haben bei ſo vielfachen Um-
wandlungen der Helleniſchen Mythologie die urſpruͤng-
liche Hoheit der Idee und die entſprechende Kraft des
Ausdrucks in ſo unverkennbaren Zuͤgen bewahrt, als
dieſer ſehr alte. Es bedarf keines Scharfſinns zum
Verſtaͤndniß, er ſpricht ſich ſelbſt offen aus, ſobald wir
Sinn fuͤr eigenthuͤmliche, obſchon fremdartige, Geiſtes-
entwickelung genug hinzubringen. Was wir oben aus
alten Beinamen und dem fortwaͤhrend im Helleniſchen
Geiſte lebenden Begriffe als Charakter Apollons ent-
nahmen: iſt hier in energiſche That zuſammengedraͤngt,
die in wenigen großen Momenten, wie Akten eines er-
habenen Drama’s, ſich entwickelt und vollendet.
Schon in fruͤhen Zeiten ging dieſe Delphiſche Cul-
tusſage in die epiſche Poëſie uͤber, wo aber Apollons
Dienſtbarkeit anders motivirt, und als von Zeus uͤber
ihn verhaͤngte Strafe betrachtet wurde, weil er die
1 Mehrere Muͤnzen ſcheinen dieſe Luſtration darzuſtellen,
eine Chalkedoniſche bei Mionnet n. 88., eine Perinthiſche (Perinth
hat das Neokorat fuͤr ſeine Pythien) bei Mionn. n. 329. vgl. auch
die von Alexandria Troas bei Mionn. 11. 109. 115. 116.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/351>, abgerufen am 22.11.2024.
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