an: aber ihre Kinder werfen es bald zu Boden und in den Tartaros hinab, wo ein Geier ihm die stets von neuem wachsende Leber 1, den Sitz gieriger Lust, unaufhörlich abfrißt.
10.
Da nun auf diese Weise die feindliche Seite der Natur gebändigt liegt, und geordnete Ruhe den Sieg davon getragen: beginnt Apollon das andere Amt zu verwalten, um dessentwillen er auf der Erde gebo- ren. Er besteigt den Dreifuß des Pythischen Orakels, um nicht mehr die dunkeln Ahnungen der geheimniß- vollen Erde, sondern "Zeus fehllosen Rathschluß" 2 und die Gesetze einer höhern Weltordnung den Men- schen zu verkünden. Denn es ist klar, daß in diesem Kreise religiöser Ideen das Schicksal als Zeus Wille (Dios noos, Dios aisa) erschien, der darum Moirage- tes hieß: während die Epische Poesie, weil sie die Götter völlig individualisirte, in den meisten Stellen -- denn bisweilen schimmert jene höhere Ansicht durch -- Zeus dem Schicksal eben so unterordnet, wie alle anderen Einzelwesen. Ueber die Apollinische Mantik aber kann erst weiter unten gesprochen werden.
1 Od. 11, 580. (vgl. Bd. 1. S. 190.) Paus. 3, 18, 7. (vom Amykläischen Throne) 10, 11, 1. Pind. P. 4, 90. u. Aa.
2 Dios nemertea boulen, Hom. Hymn. an Ap. Del. 132. vgl. an Hermes 471. 533.
21 *
an: aber ihre Kinder werfen es bald zu Boden und in den Tartaros hinab, wo ein Geier ihm die ſtets von neuem wachſende Leber 1, den Sitz gieriger Luſt, unaufhoͤrlich abfrißt.
10.
Da nun auf dieſe Weiſe die feindliche Seite der Natur gebaͤndigt liegt, und geordnete Ruhe den Sieg davon getragen: beginnt Apollon das andere Amt zu verwalten, um deſſentwillen er auf der Erde gebo- ren. Er beſteigt den Dreifuß des Pythiſchen Orakels, um nicht mehr die dunkeln Ahnungen der geheimniß- vollen Erde, ſondern “Zeus fehlloſen Rathſchluß” 2 und die Geſetze einer hoͤhern Weltordnung den Men- ſchen zu verkuͤnden. Denn es iſt klar, daß in dieſem Kreiſe religioͤſer Ideen das Schickſal als Zeus Wille (Διὸς νόος, Διὸς αἶσα) erſchien, der darum Μοιραγέ- της hieß: waͤhrend die Epiſche Poëſie, weil ſie die Goͤtter voͤllig individualiſirte, in den meiſten Stellen — denn bisweilen ſchimmert jene hoͤhere Anſicht durch — Zeus dem Schickſal eben ſo unterordnet, wie alle anderen Einzelweſen. Ueber die Apolliniſche Mantik aber kann erſt weiter unten geſprochen werden.
1 Od. 11, 580. (vgl. Bd. 1. S. 190.) Pauſ. 3, 18, 7. (vom Amyklaͤiſchen Throne) 10, 11, 1. Pind. P. 4, 90. u. Aa.
2 Διὸς νημεϱτέα βουλήν, Hom. Hymn. an Ap. Del. 132. vgl. an Hermes 471. 533.
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an: aber ihre Kinder werfen es bald zu Boden und
in den Tartaros hinab, wo ein Geier ihm die ſtets
von neuem wachſende Leber 1, den Sitz gieriger Luſt,
unaufhoͤrlich abfrißt.
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Da nun auf dieſe Weiſe die feindliche Seite
der Natur gebaͤndigt liegt, und geordnete Ruhe den
Sieg davon getragen: beginnt Apollon das andere Amt
zu verwalten, um deſſentwillen er auf der Erde gebo-
ren. Er beſteigt den Dreifuß des Pythiſchen Orakels,
um nicht mehr die dunkeln Ahnungen der geheimniß-
vollen Erde, ſondern “Zeus fehlloſen Rathſchluß” 2
und die Geſetze einer hoͤhern Weltordnung den Men-
ſchen zu verkuͤnden. Denn es iſt klar, daß in dieſem
Kreiſe religioͤſer Ideen das Schickſal als Zeus Wille
(Διὸς νόος, Διὸς αἶσα) erſchien, der darum Μοιραγέ-
της hieß: waͤhrend die Epiſche Poëſie, weil ſie die
Goͤtter voͤllig individualiſirte, in den meiſten Stellen
— denn bisweilen ſchimmert jene hoͤhere Anſicht durch
— Zeus dem Schickſal eben ſo unterordnet, wie alle
anderen Einzelweſen. Ueber die Apolliniſche Mantik
aber kann erſt weiter unten geſprochen werden.
1 Od. 11, 580. (vgl. Bd. 1. S. 190.) Pauſ. 3, 18, 7.
(vom Amyklaͤiſchen Throne) 10, 11, 1. Pind. P. 4, 90. u. Aa.
2 Διὸς νημεϱτέα βουλήν, Hom. Hymn. an Ap. Del. 132. vgl.
an Hermes 471. 533.
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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 1. Breslau, 1824, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische02_1824/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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